
Der Winter geht zu Ende, die Gasspeicher sind noch gut gefüllt, die Energiepreise sinken. In unserer Energie-Serie erklären wir, woran das liegt und was Verbraucher nun tun können.
Region. Erinnern Sie sich noch? Wer vor einem halben Jahr den Strom- oder Gasanbieter wechseln wollte, weil ihm oder ihr eine saftige Preiserhöhung ins Haus geflattert war, suchte vergeblich nach halbwegs bezahlbaren Angeboten. Der Markt war zeitweise komplett zum Erliegen gekommen. Neuverträge wurden, wenn überhaupt, nur zu Horrorkonditionen offeriert; wer einen länger laufenden Kontrakt hatte, war ein Glückspilz, und die vormals teuren Basistarife der Grundversorger waren plötzlich die günstigsten im Markt, während Billiganbieter reihenweise in die Knie gingen.
Inzwischen hat sich vieles geändert. Der vom Ukrainekrieg ausgelöste Energieschock hat seinen Schrecken verloren. Das liegt zum einen an der staatlichen Gas- und Strompreisbremse, die seit 1. März in Kraft ist. Damit sind die Preise für 80 Prozent des Verbrauchs auf 12 Cent je Kilowattstunde beim Gas und 40 Cent beim Strom begrenzt. Das liegt zwar deutlich über dem Vorkrisenniveau, aber auch weit entfernt von dem, was Versorger zeitweise von ihren Kunden verlangten: 35 Cent für Gas und 75 Cent für Strom waren keine Seltenheit.
Das Problem ist, dass die Lage extrem unübersichtlich und auf den ersten Blick widersprüchlich bleibt. So haben viele Versorger, die dank konservativer Einkaufspolitik ihre Kunden lange Zeit noch vergleichsweise günstig beliefern konnten, zuletzt Preiserhöhungen angekündigt. Andere senken die Preise, kommen dabei jedoch von einem höheren Niveau. Aktuelle Preiserhöhungen scheinen nicht zu den sinkenden Großhandelspreisen der vergangenen Monate zu passen. Doch kommen die extremen Einkaufskonditionen des Vorjahrs nun eben mit Verzögerung bei vielen Kunden an. Immer wieder wird auch vermutet, dass Versorger die staatlichen Preisbremsen ausnutzen und über Gebühr erhöhen, weil sie die Differenz zu den 12 und 40 Cent vom Staat bekommen. Allerdings schaut das Bundeskartellamt hier genau hin, und die Branche bestreitet ein solches Abkassieren.
Oft lassen sich bei Gas und Strom mehrere 100 Euro im Jahr sparen
Mit jeder Preisanpassung ist für den Kunden ein Sonderkündigungsrecht verbunden. Für Verbraucher, denen eine Erhöhung ins Haus geflattert ist oder deren Vertrag ohnehin ausläuft, lohnt sich gerade jetzt ein Preisvergleich auf einem der üblichen Portale. Vor allem Gas sei für Verbraucher zuletzt „extrem teuer“ gewesen, sagt Steffen Suttner, Geschäftsführer Energie bei Check24. Weil viele Anbieter auf die stark gesunkenen Großhandelspreise mit günstigen Konditionen für Neukunden reagierten, sollten Verbraucher jetzt aktiv werden. Im Vergleich zur Grundversorgung ließen sich im Schnitt 364 Euro pro Jahr sparen. Beim Strom sieht es ähnlich aus. Voraussetzung ist natürlich immer, dass man den Anbieter wechseln kann.
Bleibt die Frage, wie es mit den Preisen weitergeht. Maßgeblich ist die Entwicklung an den Energiemärkten, wobei hier das Gas für den Strom die Richtung vorgibt. Das liegt an der Organisation der Strombörse, bei der über das sogenannte Merit-Order-Prinzip jeweils das teuerste noch benötigte Kraftwerk den Preis bestimmt, und das ist derzeit in aller Regel ein Gaskraftwerk.
Derzeit bewegt sich der Gaspreis bei rund 55 Euro je Megawattstunde, der Strompreis bei etwa 150 Euro (jeweils Kontrakte für 2024). Timo Kern, Leiter des Teams Energiesysteme und Märkte bei der Forschungsstelle für Energiewirtschaft in München, rechnet für die nächsten Monate nicht mehr mit deutlich steigenden Gaspreisen. Dagegen sprächen gleich mehrere Faktoren. Zum einen habe der milde Winter in Europa den Verbrauch und damit auch die Nachfrage deutlich gesenkt. Außerdem sind die Gasspeicher viel besser gefüllt als vor Monaten befürchtet. Das ist nicht nur eine Folge des milden Winters, sondern auch ein Resultat der Sparbemühungen der Verbraucher.
Sinkende Nachfrage und wachsendes Angebot setzen Gas- und Strompreise unter Druck
Vor allem der gute Füllstand der Gasspeicher dürfte die Nachfrage dämpfen, glaubt Kern – weil nach dem Ende der Heizsaison weniger Gas gekauft werden muss, um die Speicher wieder zu füllen. Zur Erinnerung: Im Sommer 2022 gab es einen regelrechten Run auf das ohnehin knappe Angebot. Die Parole lautete damals: einspeichern, egal zu welchem Preis. Das hatte Ende August die Preise für Gas auf nahezu 350 Euro und in der Folge für Strom auf aberwitzige 1000 Euro je Megawattstunde getrieben. Im Herbst pendelte sich das dann auf rund 150 (Gas) und 300 (Strom) Euro ein.
Der eher sinkenden Nachfrage steht inzwischen ein größeres Angebot gegenüber: Hier zeigen die neu installierten Flüssiggasterminals Wirkung, auch wenn über sie bisher nur überschaubare Mengen Gas ins deutsche Netz geflossen sind. Kurz: Es steht mehr Gas zur Verfügung, und es muss weniger eingespeichert werden. Beides zusammen spricht für stabile oder gar sinkende Preise. Beim Strom spiele auch der zu erwartende weitere Ausbau der Erneuerbaren eine Rolle, ergänzt Kern. Nach Berechnungen des Think-Tanks Agora Energiewende haben die Erneuerbaren schon im vergangenen Jahr spürbar die Preise gedämpft: Immer wenn sie reichlich zur Verfügung standen, ging es mit den Preisen kurzfristig nach unten.
Dennoch will Kern keine Entwarnung geben: Die aktuellen Preise an den Börsen „spiegeln die wahrscheinlichste Markterwartung wider; es kann aber auch anders kommen“. Die Gefahr, dass sich die Achterbahnfahrt des vergangenen Sommers wiederholt, sieht Kern derzeit allerdings nicht – immer vorausgesetzt, eine dramatische Eskalation des Krieges in der Ukraine bleibt aus. Diese Unsicherheiten sollte jeder bedenken, der sich jetzt um einen neuen Strom- oder Gasvertrag bemüht.