Diebstahlschutz im Supermarkt: Wenn Butter zum Luxusgut wird

Ein Stück Butter. Foto: stock.adobe.com

Die Krise sorgt für einen Anstieg der Diebstähle vor allem im Lebensmittelhandel. Dieser rüstet sich nun mit speziellen Etiketten unter anderem auf Butter, Öl und Schokolade.

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DARMSTADT / BERLIN / DÜSSELDORF. Die Lebensmittelpreise steigen hierzulande enorm. Die Zeiten, als sich in Deutschland mit relativ günstigen Nahrungsmitteln andere Kosten auffangen ließen, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Um knapp 15 Prozent legten die Preise binnen Jahresfrist zu, vereinzelt verdoppelten oder verdreifachten sie sich. "Lebensmittel werden gerade zu Luxusgütern", so Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Deshalb wird weniger und bewusster eingekauft in der Krise, immer mehr auch günstige Eigenmarken, dafür weniger Bio.

"Die einzelhandelsrelevante Kaufkraft sinkt", so Handelsexpertin Professorin Shyda Valizade-Funder von der Hochschule Darmstadt auf VRM-Anfrage. Es gebe eine Verlagerung auf die hohen Energiekosten auch bei Haushalten. Vor diesem Hintergrnd wächst aktuell offenbar die Zahl an Ladendiebstählen. Diese seien im bisherigen Jahresverlauf "überdurchschnittlich hoch", bestätigen Ladenbesitzer und Filialmitarbeiter aus der Region bei einer Stichproben-Umfrage.

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Weshalb der Handel nun reagiert, weil die Margen ohnehin kleiner werden aufgrund der allgemeinen Kostenexplosion und dem Armdrücken um Konditionen mit der Lebensmittelindustrie. Gab es Sicherheitsetiketten bislang beispielsweise bei teuren Steaks oder Filet zur Weihnachtszeit, ist Diebstahlschutz nun auch bei Markenbutter und eher günstigeren Lebensmitteln angekommen. So etwa bei Lidl. So wie in England. Der Anstieg bei Erstdiebstählen von Allerweltsartikeln des täglichen Bedarfs sei bemerkenswert, ist zu hören.

"Focus Online" berichtet, dass auch Edeka, Netto und Aldi ebenfalls vereinzelt Produkte auf diese Weise sichern. Der Handel sieht sich zum Handeln genötigt, so Anbieter entsprechender Sicherungsprodukte. Wobei solche Etiketten wohl vor allem der Abschreckung dienen, manche sogar nur Fakes sein sollen. Aber welche? Auskunftsfreudig ist man bei diesem Thema in den Handelszentralen - wie zu erwarten - generell nicht.

2,1 Milliarden Euro Schaden durch Langfinger

Der intensivierte Schutz vor Klauattacken sorgt unterdessen bei Verbrauchern für ein geteiltes Echo. "Ich glaube, es hackt", so eine Kundin. Da werde jeder unter Generalverdacht gestellt. Oder eine andere: "Ist es denn schon soweit?" Der Sozialverband Deutschland zeigte sich gar "fassungslos." Es gibt aber auch Verständnis. Der Handel müsse sein Eigentum schützen, so unter anderem ein Kunde. Auf alle Fälle wirft das Thema eine Reihe von Fragen auf. Rewe winkt bislang zwar ab. Und Kaufland, eine Lidl-Schwester, vertraut weiter Ladendetektiven und Kamerasystemen, zumal der Großteil der Kunden ehrlich sei, so ein Sprecher. Andere jedoch rüsten eben auf, weil die Situation letztmals in der Finanzkrise 2007 so war, als die Verbraucher unter massivem finanziellen Druck standen. Nun sorgen die Energiekosten sowie die Lebensmittelinflation offenbar dafür.

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"Trotz Warensicherung und Personalschulungen wird im Handel nach wie vor alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist", heißt es in der Studie „Inventurdifferenzen im deutschen Handel 2022“ des EHI Retail Institutes. Schätzungen zufolge belief sich der Schaden 2021 auf 2,1 Milliarden Euro durch Langfinger unter den Kunden. Und auf 810 Millionen Euro durch Beschäftigte im Handel. Das müssen dann alle bezahlen, die einkaufen gehen über zusätzliche Preisaufschläge.

Besonders "beliebt" waren den Angaben zufolge bislang alkoholische Getränke, Kosmetika und Elektrozahnbürsten. Derzeit, so ein Marktkenner, wird vor allem Schokolade gestohlen, Markenkaffee, hochwertiger Honig sowie teures Biofleisch, Speiseöl, Babymilch-Produkte und Käse. Oder eben Butter, wo ein gelber Aufkleber "Gesicherter Artikel" ins Auge springt auf der Packung gesalzener Kerrygold-Butter bei Lidl. Wird der Sicherheitssticker an der Kasse nicht deaktiviert oder entfernt, gibt er ein Signal ab.

Galten Sicherungstechnologien wie etwa RFID-Chips lange als zu teuer für den Einsatz im Lebensmittelhandel, stehen mittlerweile sogar unsichtbare Pasten dafür zur Verfügung, die nur wenige Cent kosten. "Tatsächlich sind die Kosten für einfache Diebstahl-Etiketten stark gesunken und auch für Discounter daher kurzfristig gut umsetzbar, wenn die Diebstahlraten in einzelnen Produktgruppen in die Höhe gehen", so Valizade-Funder. Günstiger ist es zwar, wenn die Ware in verschlossenen Glaskasetten liegt. Aber es ist für die Beschäftigten mühsam und nicht praxisgerecht, diese bei Bedarf immer wieder zu öffnen.

"Anti-Diebstahl-Sticker potenziell bald auf allen Warengruppen"

"Da die Preise weiter steigen, sehe ich diese Anti-Diebstahl-Sticker potenziell bald auf allen Warengruppen im Handel", so Experte Heinemann. "Das könnte tatsächlich der neue Standard beim Lebensmitteleinkauf werden." Der Einsatz von beispielsweise RFID-Chips bei jedem Produkt könne etwa dafür sorgen, dass Filialen viel besser automatisiert werden könnten. Zudem sei dies als strategische Vorbereitung auf Self-Checkout-Läden zu sehen. Kassenpersonal sei nämlich der "letzte große Kostenfaktor" im Lebensmittelhandel. Amazon Go mache dies bereits vor, ohne Sensorik und Markierung jedes einzelnen Produktes geht dabei nichts. Aldi testet derzeit Checkout-Filialen in den Niederlanden.

Professorin Valizade-Funder sieht die Entwicklung nicht ganz so schnell kommen. Für den Self-Checkout würden zwar innovative Technologie von Discountern weiter beobachtet und seien vereinzelt im Einsatz. "Aktuell gehe ich aber davon aus, dass es sich im aktuellen Umfeld um reine Diebstahlsicherung handelt".

Von Achim Preu