Zum Frühjahrsstart ein neues Rad gefällig? Während die Branche bis zuletzt unter Lieferproblemen gelitten hat, sieht es inzwischen anders aus. Ein Marktüberblick.
Darmstadt/Mainz/Berlin. In den vergangenen Monaten gab es mehr Gegen- als Rückenwind für die Fahrradbranche. Das war nach der Boomphase zu Coronazeiten, als das Rad zum Alltagsfahrzeug wurde, der wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheit, steigenden Energiepreisen und der Rekordinflation geschuldet. Größere Investitionen, wie es heutzutage eben ein Fahrrad ist, waren da teilweise nicht mehr drin. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV, Berlin) spricht von „einer deutlichen Kaufzurückhaltung seit August 2022“, so Sprecher Reiner Kolberg.
Und das hat für Verbraucher nun positive Auswirkungen: Die Lager im Fachhandel sind zum Start in den Frühling „voll wie nie“, so Tobias Hempelmann, Vize im Verband des Zweiradhandels. Und auch lange Lieferzeiten bis zu einem Jahr, weil die Lieferketten aus Asien gerissen waren oder Bikebauer mit der Produktion nicht hinterherkamen, gehören der Vergangenheit an. Dennoch sagt ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork auch: „2023 wird noch ein schwieriges Jahr, aber wir sehen keinen Absturz.“ Eher sei es eine Normalisierung. Die Lage entspannt sich auf alle Fälle, auch bei den zuvor massiv gestiegenen Preisen, wie sich bei einer Händlerumfrage in der Region zeigt.
„Die Lager sind so voll wie noch nie”
Das bestätigt Steffen Ross, Geschäftsführer der Radhaus GmbH in Darmstadt und Mitgesellschafter der Gruppe, die zudem Standorte in Mainz und Heidelberg hat. Er spricht zwar von spürbarem Lagerdruck. „Aber die Nachfrage ist hoch, viele Kunden sind schon da.“ Der Schwenk zu einem Käufermarkt sei gleichwohl spürbar, auf dem die Kundschaft am längeren Hebel sitzt und zumindest bis Ostern das eine oder andere Prozent heraushandeln könne. Was sich vor allem bei teuren E-Bikes auszahlt. Das seien Räder von 2800 bis rund 6000 Euro in seinen Läden, sagt Ross. Vor einigen Jahren sei es für ihn undenkbar gewesen, dass am Samstag ein Kunde komme und mit einem 5000-Euro-Rad gehe. Wartung, so Ross weiter, könne man aber nur noch für Räder anbieten, die auch beim „Radhaus“ gekauft wurden. Das sind übrigens momentan 60 Prozent solche mit Elektrounterstützung.
Duch Modellwechsel gibt es gute Angebote
Beim Mainzer Fachhändler Radgeber oHG, aktuell ebenfalls gut bevorratet wie die meisten, liegt der Anteil der E-Bikes gar bei 80 Prozent. Chef Andreas Ehrhardt hat zuletzt – anders als der ZIV – nur eine kleine „Nachfragedelle“. Einzelne Hersteller wie Rose Bikes (Bochholt) haben unterdessen die Tarife um 15 Prozent gesenkt. Im Handel seien generell fünf bis zehn Prozent Rabatt wieder drin, heißt es bei Marktkennern. Eine Hausnummer. Denn der durchschnittliche Verkaufspreis ist zwischen 2019 und 2021 um 73 Prozent gestiegen, so das Institut für Handelsforschung (IFH) und die BBE Handelsberatung. Konkret: 1627 statt 938 Euro. Und bei Riese&Müller geht es beispielsweise erst ab 4000 Euro los.
E-Bike und Premiumhersteller profitieren zudem vom Dienstradleasing, das immer populärer wird. Und wo die Preissensibilität weniger groß ist. 900.000 solcher Bikes sind hierzulande schon unterwegs, so Schätzungen. Sogar bis auf die Brust des Fußball-Bundesligisten SC Freiburg hat es gereicht. Dort ist seit kurzem „JobRad“ als Trikotsponsor in Mainz. Außerdem sei Nullprozent-Finanzierung vermehrt gefragt, so Ehrhardt.
„Wir bauen das wichtigste Verkehrsmittel der Zukunft”
Dagegen staubten vor allem preiswerte Räder zuletzt vor sich hin. Die hier geringen Margen und eine von der Teuerung besonders betroffene Klientel, die einen Großteil ihres Einkommens fürs tägliche Leben benötigt, führten denn auch bei einzelnen Herstellern zu Problemen. Und teilweise Insolvenzen. Einen Trend will der ZIV daraus jedoch nicht ableiten. „Wir bauen schließlich das wichtigste Verkehrsmittel der Zukunft“, heißt es. Von 2014 bis 2021 hat sich der Umsatz auf 6,56 Milliarden Euro verdreifacht. Rund fünf Millionen Fahrräder stehen pro Jahr dahinter, davon bald die Hälfte E-Bikes. Die Branche arbeitet mit 120 Zulieferern zusammen, benötigt 60 Kernkomponenten – die meisten kommen aus Fernost.
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Hierzulande gibt es mit 81 Millionen Drahteseln fast so viele Fahrräder wie Einwohner. Und obwohl sich während der Pandemie viele erstmals oder wieder in den Sattel geschwungen haben, viel geändert sich nicht wirklich. Das Auto ist vor dem Rad weiter das meistgenutzte Verkehrsmittel in Deutschland, so eine aktuelle Allensbach-Umfrage zur Mobilität. Der Pkw-Bestand liegt übrigens bei 48,8 Millionen – Tendenz weiter steigend.