Wer in Zeiten hölzerner Torpfosten sozialisiert wurde, muss nicht alles verstehen, was sich heute auf dem Platz abspielt.
GIESSEN - Neulich vor der Sky-Bundesligakonferenz habe ich es wieder gesagt: "Was spielt der denn für einen Knochenball?" Der 15-Jährige auf dem Sofa neben mir starrte mich mit großen Augen an. Vater, was ist mit dir, wollte er mir damit sagen, du sprichst mit fremden Zungen, ist das der Beginn einer Verwirrung? Und dann erinnerte ich mich, dass ich es am Rande des Platzes, damals, als man vor dem pandemischen Zeitalter noch Fußball spielen durfte, auch schon mal gerufen hatte: "Junge x y, spiel doch nicht so einen Knochenball." Kein Spieler hatte reagiert. Knochenball kannte keiner, beschämt verhielt ich mich ruhig.
So gilt es, als Jugendbetreuer sich zu hinterfragen: Ist meine Kommunikation noch zeitgemäß? Oder ist das eher ein anderes Problem? Gab es das damals nur in unserem Verein: den Knochenball? Oder ist der Begriff derart aus der Zeit gefallen, dass die Playstation-Fifa-Generation einen Dolmetscher benötigt, wenn Trainer und Betreuer zu einer Zeit sozialisiert wurden, als Kunstrasen noch für ein Gemälde von Monet gehalten wurde und die Pfosten der Tore noch aus Holz waren? Der Knochenball, um das aufzuklären, ist ein Pass, der derart ungenau an den Mann gebracht wird (meist zu kurz), dass der Weg des Mitspielers und von dessen Kontrahenten gleich lang ist, um das Leder zu erreichen. Diesen Ball zu erobern, als erster dran zu sein, ihm entgegenzugehen (eine eherne Regel dieses Sports: Geh dem Ball entgegen!), endet damit, dass man die Knochen hinhalten muss, dass Knochen auf Knochen prallt, dass es Verletzte gibt - so endet es oft böse mit dem Knochenball.
Das aber ist nur ein Beispiel für eine sich verändernde Fußballersprache, denn der Trainer unserer Jungs ist etwa 20 Jahre jünger als sein Co (ich) - und folglich auch sprachlich näher dran an seinen Klienten. Dass unsere Stürmer bei Nils (Name von der Redaktion nicht geändert) in die Box gehen, währenddessen ich sie immer noch "Old school" in den Strafraum schicke (manchmal auch in den Sechzehner), gehört zum guten Ton. Dass sie bei ihm den Ball klatschen lassen sollen, während ich ihn immer noch lieber prallen sehe (und das auch sage), ist nur ein Detail. Mit dem ich im Übrigen gut leben kann.
Wenn aber der Ball "diago" gespielt wird (das soll wohl diagonal über den Platz, also hoch und weit und rüber auf die andere Seite, bedeuten) werde ich schon etwas nervös in meinem Sprachempfinden. Auch nicht schön: Dass der Hintermann, der ja im Jugendbereich oft genug nur ein Männchen ist (heißt das im Frauenfußball eigentlich Hinterfrau?), mittlerweile mit rechte Schulter/linke Schulter auch noch konkret verortet wird, liegt wohl daran, dass in Zeiten von Google Maps alles ganz exakt beschrieben werden muss.
Linke Schulter, diago, rein in die Box, klatschen lassen - all das mag noch herleitbar sein (im Gegensatz zum Knochenball). Völlig aus der Fassung brachte mich aber der beim Regionalligaspiel des FC Gießen (wir kommen jetzt etwas weg vom Schuss, Thema bleibt aber gleich) die lautstarke und als Ansporn gedachte Bemerkung eines Akteurs: "Auf Männer, online, wir müssen online sein."
Da weiß der Kulturpessimist gleich, wo er gelandet ist. Schöne neue Welt. Früher hieß es: "Wach sein, kommt, von Beginn an hellwach sein." Heute genügt das nicht mehr. Im Zeitalter der Digitalisierung, wo jeder nur noch Iphone, IPad oder Laptop mit sich rumschleppt, muss man pünktlich zum Anstoß "online" sein, wach alleine genügt nicht mehr.
Dass jener Spieler zwischendurch auch in einer schwachen Phase anmerkte, man sei gerade offline, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Immerhin haben unsere C-Junioren das Spiel auf dem Rasen noch nicht so technisiert, dass sie sich den Kurzpass per WhatsApp schicken oder den Flugkopfball als Drohne bezeichnen.
Interessant wäre zudem, ob der kickende Nachwuchs es noch versteht, wenn man nach einem gelungenen Solo erwähnt: "Mensch, den hast du ja in der Telefonzelle (oder auf dem Bierdeckel) nass gemacht." Die Telefonzelle ist schließlich ein Relikt aus uralten Tagen, genauso wie der (echte) Lederball, der handgenäht zusammengehalten wurde und dem manchmal die Wülste platzten. Aber auch da wird es findige Wendungen geben: "Den habe ich auf dem Smartphone nass gemacht" wäre eine Möglichkeit. Telefonzelle kennt ja keiner mehr.
Übrigens: Sucht man im weltweiten Netz nach Knochenball, stößt man auf Beißspielzeug für Hunde. Der Knochenball lebt also. Wenn auch in gänzlich anderem Zusammenhang. Ich lasse jetzt mal meine linke Schulter klatschen, gehe erst diago, dann offline und anschließend in die Box. Kann man ja mal machen, wenn kein Fußball ist.
Rüdiger Dittrich