Eier suchen, Kühe füttern: Im Allgäu locken moderne Unterkünfte, um Stadtmenschen tierische Erlebnisse zu bieten. Das hat mit dem Ferienmodell von früher nicht mehr viel gemein.
. Fast bewegungslos liegt Hanni auf ihrem Stammplatz, einem abgesägten Baumstumpf. Unter ihr döst eine Schar Laufenten im noch feuchten Gras. Erst wenn sich die Feriengäste dem Gatter nähern, verlässt die Ziege ihren Beobachtungsposten und beäugt neugierig die Eindringlinge in ihrem Territorium. Dort logiert sie gemeinsam mit einigen Artgenossen und in Nachbarschaft zu ein paar Ponys und einer Herde Hochlandrinder. Der stolze Gockel – die Hühnerschar im Schlepptau – stellt krähend seine Männlichkeit zur Schau. Hahn und Hühner zählen eindeutig zu den privilegiertesten Hofbewohnern: Sie können sich überall frei bewegen, vom Misthaufen, über die Kinderspielwiese bis zur Terrasse vor dem Frühstücksraum. Immer auf der Suche nach etwas Nahrhaftem, das sich vom Boden picken lässt. Nur zum Schlafen und Eierlegen geht es in den Stall.
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Zimmer mit Toilette auf dem Flur geht gar nicht mehr
„Manchmal lege ich die Eier, die die Kinder aus dem Stall geholt haben, heimlich wieder zurück. Damit alle Gästekinder zum Zug kommen“, erzählt Bäuerin Michaela Lang mit einem Augenzwinkern. Die gelernte Hotelfachfrau betreibt gemeinsam mit ihrem Mann einen 5-Sterne-Wellness-Landhof am Ortsrand von Bad Wörishofen. Die Milchkühe haben sie verkauft und durch eine Herde Hochlandrinder als Zuchtvieh ersetzt. Den ehemaligen Vollzeitbauernhof betreiben sie nur noch als Nebenerwerbslandwirtschaft und wo früher der Stadel stand, nächtigen heute in einem Neubau die Feriengäste: in geschmackvoll eingerichteten Ferienwohnungen, jede mit Küchenzeile und Spülmaschine. Für alle Gäste gemeinsam wurde im Kellergeschoss ein Wellnessbereich eingerichtet, der locker mit dem mancher Hotels mithalten kann.
Mit den in den Anfangszeiten doch manchmal recht rustikalen „Ferien auf dem Bauernhof“ hat das nichts mehr zu tun. „Die Feriengäste sind anspruchsvoller geworden und legen mehr Wert auf Ausstattung. Irgendein Zimmer mit Toilette auf dem Flur geht heute gar nicht mehr“, erzählt auch Albert Settele. Er vermietet auf seinem rund vier Kilometer von Bad Wörishofen gelegenen Hof seit 30 Jahren an Touristen und auch er hat für eben diese neu gebaut.
Der Urlaub auf dem Bauernhof ist immer mehr im Kommen, sagt Settele über das Urlaubsmodell, von dem Bauern und Touristen profitieren. Die einen, weil sie sich ein von Milchpreisen unabhängiges, zweites Einkommen erschließen, die anderen, weil echtes Bauernhofleben fasziniert und manchmal auch Wissenslücken füllt. Nicht nur die der Kinder.
Davon kann Stefanie Lehner einiges berichten. „Manchmal sind die Verbraucher ganz weit weg vom Erzeuger“, erzählt sie von Feriengästen, die die obligatorischen Ohrmarken der Kühe für Preisschilder halten oder nicht wissen, wie man einen Salatkopf erntet. „Dann freue ich mich, wenn ich zeigen und erklären kann, was Landwirtschaft wirklich ist.“ Und wenn die Feriengäste wollen, können sie sich auch im Melken versuchen.
Die Hauswirtschaftsmeisterin bewirtschaftet mit ihrem Lebensgefährten Thomas Kleinheinz und dessen Kindern gemeinsam einen Hof bei Irsee. Ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch: Neben dem Kräutergarten grasen die Schafe, im Offenstall wird das Milchvieh gehalten. Für die Touristen haben die beiden zwei Wohnungen ausgebaut. Drumherum ist Stille und viel Natur. Sie hätten lange überlegt, ob sie in Ferienwohnungen investieren sollen, erzählt die Bäuerin weiter, weil der im Unterallgäu gelegene Hof so weit weg ist von den bekannten Touristenhotspots wie Schloss Neuschwanstein und Co. Vor drei Jahren haben sie es dann doch getan – und sind zufrieden.
Besonders jetzt, während einer durch Corona beeinflussten Urlaubsplanung, erweist es sich als Vorteil, dass das Unterallgäu weniger bekannt und weniger überlaufen ist als das Oberallgäu. Es ist die flachere Variante des bergigen Oberallgäus: viel Grünland, im Frühjahr fast endlose Blumenwiesen und sanfte Hügel. Ein gut ausgebautes Radnetz ist auch für Familientouren geeignet, bei Bedarf sind die Königsschlösser oder die Großstadt München dann doch in nur rund einer Stunde Autofahrt erreichbar. Mit dem Allgäu Skyline Park liegt ein Freizeit- und Erlebnispark direkt vor der Haustür und in der Natur findet sich sowieso immer ein einsames Plätzchen zum Erholen und Genießen. „Von unserem Hof aus ist es nur rund ein Kilometer zum Wertachstausee“, nennt Albert Setteles Tochter ihren Lieblingsplatz. „Dort kann man herrlich am Wasser relaxen, die Kinder können dort spielen oder man kann mit dem Rad am See entlang fahren. Nur Baden darf man in dem Stausee nicht.“
Auch Michela Lang hat für ihre Gäste eine Ausflugsempfehlung am Wasser parat. Die liegt in einer abgelegenen Waldsenke an einem kleinen Bach neben dem Mühlweiher und stammt aus dem Jahr 1661. Ein Ständerbohlenbau aus über 300 Jahre altem Holz, das Holzschindeldach ist mit Steinen beschwert. „Die Katzbrui-Mühle ist die älteste noch funktionstüchtige Mühle Bayerns“, erzählt Max Emdrass, der die Mühle 1991 gekauft und instand gesetzt hat. „Zugeraten hat mir damals keiner. So mitten im Wald an einem Standort, an dem bereits 1400 die erste Mühle erbaut worden war“, erinnert sich Emdrass, der als Seniorchef die Mühle als Ausflugslokal mit Biergarten betreibt und im Inneren ein kleines Mühlenmuseum eingerichtet hat. Die Zahnräder des originalen Mahlwerks sind holzgeschnitzt und die hölzerne Stiege in der Mahlstube ist so ausgetreten, da müssen Generationen von Müllern die Getreidesäcke hochgeschleppt haben um das Korn in die großen Trichter über den Mühlsteinen zu füllen. Für Kinder gibt es hier jede Menge zu entdecken.
Feriengäste sind wie Kunden beim Friseur
Doch so interessant das kleine Mühlenmuseum auch ist, irgendwann fangen die Kinder an, ungeduldig nach Hause zu drängen: Stallzeit auf dem Ferienbauernhof. Die, erzählen alle drei Bäuerinnen unisono, ist den Ferienkindern immer ganz wichtig. Besonders dann, wenn sie selbst Kühe füttern, Ponys bürsten oder den Enten Wasser bringen dürfen. „Zum nächsten Ausflug gehen wir nur mit, wenn wir dafür morgen den ganzen Tag auf dem Hof bleiben dürfen“, erzählt Michaela Lang von ganz harten Ferienprogramm-Verhandlungen zwischen Eltern und Kindern, wenn das Rendezvous im Kuhstall einmal nicht eingehalten werden kann. Urlaub auf dem Bauernhof ist immer auch etwas Urlaub mit Familienanschluss auf Zeit. „Feriengäste auf dem Hof sind wie Kunden beim Friseur“, sagt Stefanie Lehner und lacht. „Spätestens am zweiten Tag erzählen sie die ganze Familiengeschichte.“
Von Maren Recken