Wäsche trocknet im Wind über der Festungsanlage Monsaraz. Foto: Helge Sobik
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Bei Familie da Silva hängen die dicken Socken neben hellblauen Hemden und rosafarbenen Pullis auf der Wäscheleine und flattern über der Festungsmauer im kühlen Wind. Ein paar Meter höher tanzen Schwalben auf den Böen. Den Namen der Familie, deren Wäsche hier trocknet, verrät das Klingelschild neben der Tür des Häuschens in der Burganlage aus dem 11. Jahrhundert. Die Türen der kleinen Andenkengeschäfte und Kunsthandwerkerläden in den schmalen Kopfsteinpflastergassen sind verschlossen. Nur der Burgfried mit seiner Aussichtsplattform ist geöffnet. Und wo im Sommer nur mit Glück ein Parkplatz zu bekommen ist, stehen an diesem Vormittag nur drei Autos vor der hohen Umfassungsmauer aus dem Mittelalter. Im Winterhalbjahr ist wenig los im Bilderbuch-Festungsort Monsaraz. Es ist die Ruhe vor dem Sturm tief im Hinterland Portugals – von wo aus man Spanien sieht und der Atlantik weit ist. Wo sich im Sommer Tagesbesucher durch die Gassen schieben, rumpelt jetzt nur der schmächtige Lieferwagen des Getränke-Grossisten in Richtung der einzigen geöffneten Bar. Er muss die Außenspiegel umklappen, um ohne Schrammen durchzukommen.
Es ist die stillste Seite Portugals, eine Landschaft mit sanften Hügeln aus Korkeichenwäldern, Weinstöcken und Feldern. 40 Burgen gibt es hier, dazu Dörfer und kleine Städte, die so aussehen, als hätte jemand vor vielen Jahrzehnten oder sogar vor Jahrhunderten die Uhren angehalten. Die Fahrt tief durchs Hinterland der Region Alentejo, die südlich von Lissabon beginnt und im Süden auf die Algarve trifft, ist eine Zeitreise. Es ist eine Gegend, wo die Eile Einreiseverbot hat. Ein Landstrich, über dem niemals Bomben fielen. Eine Region, die auf Schritt und Tritt vom Damals erzählt.
An diesem Morgen stehen die Männer von Estremoz im Schatten der Burg, in die ein Hotel eingezogen ist, in dicken Jacken vor der „Bar Alentejo“. Unter der hellblauen Leuchtreklame trinken sie im Freien in der Sonne ihren Café Galão, schweigen miteinander und plaudern leise. Sie schauen traurig, ohne es zu sein. Portugiesen haben einen Hang zur Melancholie. Krach liegt ihnen nicht, lautes Geplapper gehört nicht hierher, und nur, wenn man ganz genau hin hört, bemerkt man drinnen vorm Bar-Tresen die Musik aus den Boxen an der Decke. Getragen ist sie, ein bisschen schmachtend. Leise ist sie sowieso.
INFORMATIONEN
Anreise: Flug zum Beispiel mit TAP Portugal von Frankfurt nach Lissabon ab 149 Euro für Hin- und Rückflug zusammen.
Mietwagen: Leihwagen zum Beispiel bei Sunnycars ab 116 Euro / Woche, www.sunnycars.de.
Übernachtung: zum Beispiel im Burghotel „Pousada Castelo Estremoz“ ab 126 Euro (www.pousadas.pt), im eleganten Landhotel „Herdade de Agua d´Alte“ in Aldaia da Serra bei Redondo ab 128 Euro (www.aguadalte.com) jeweils pro Doppelzimmer mit Frühstück.
Die Frauen sind derweil auf der anderen Straßenseite unterwegs. Auf dem Antikmarkt verkaufen manche die Erinnerung an Oma und Opa – Familiengemälde, Geschirr, Besteck, Stickdeckchen. Ein Mann schüttet einen Karton alter Bücher vor seinem alten VW-Bus aufs Pflaster. Andere knien zwischen den vergilbten Wälzern unter den kahlen Platanen, blättern, schauen und erstehen kurz darauf 100 Jahre alte Schmöker für ein paar Cent. Gegenüber hat eine rundliche Frau ihren Tisch aufgebaut. Sie verkauft nichts als Schafsglocken an Lederhalsbändern in unterschiedlichen Größen – die gebrauchten für vier, die neuen ab 15 Euro. Zu Pyramiden hat sie sie aufgetürmt. Nirgendwo herrscht so viel Andrang wie bei ihr. Als wäre jeder zweite in Estremoz Schäfer und hätte dringend auf Nachschub gewartet.
In vielen der Hinterlandorte gibt es solche Märkte – meist einmal pro Woche. Fremde sind dort die Ausnahme. Die meisten Gäste aus dem Burghotel von Estremoz geraten allenfalls zufällig hierher, obwohl sie nur zwei Straßenkreuzungen weit gehen müssten. Vielmehr sind diese Märkte Treffpunkte der Einheimischen – und von denen ahnt kaum jemand, wie sehr sie Sehenswürdigkeit sein könnten: weil sie tiefe Einblicke in den Alltag ermöglichen. Und weil sie die Gelegenheit bieten, die Gegend auch zu erschmecken.
Ein fröhlicher Mann mit grauem Haarkranz verkauft Honig. Am Stand daneben gibt es Schinken und Hausmacherwurst vom schwarzen Schwein. Am Imbisswagen gegenüber bekommt man frittiertes Gebäck mit reichlich Puderzucker. Ein Hahn kräht aus seinem viel zu kleinen Käfig – gar nicht angstvoll, eher voller Stolz. Und nebenan reicht eine Frau riesige Hühnereier über ihren Tresen, während Monica Moura mit der Zange im Akkord nach Ziegenkäsetalern in einer Plastikwanne greift. Sie kommt kaum nach, kassiert 80 Cent für ein Stück Käse, das im Supermarkt das Dreifache kostet. „Ich weiß nicht, woran es liegt“, sagt sie, „aber in Estremoz bin ich immer nach spätestens zwei Stunden ausverkauft. Egal, wie viel ich aus unserer kleinen Käserei mitbringe. Kein Markt läuft so gut wie dieser.“ Mehr mitbringen kann sie nicht, mehr gibt die Produktion des Familienbetriebs nicht her.
In Portel sind es diesmal die Frauen, die vor einem Café an der Hauptstraße stehen. Wieder thront die Festung über allem, wieder ist alles im Ort Alltag, nichts Museum – obwohl es für Fremde so aussehen mag. Ein paar Fassaden haben sie frisch gestrichen, das Pflaster ausgebessert, den Fußweg zum Burgtor hoch aufgegraben, Leitungen verlegt und alles neu befestigt. Nur das Schloss im Burgtor auszutauschen – dafür gab es noch keinen Grund. Der betagte Schlüssel ist mehr als 20 Zentimeter lang. Mittags um eins klappert die Burgwächterin damit: „Nebensaison!“, ruft sie und zuckt bedauernd mit den Schultern: „Wir schließen doch außerhalb des Sommers mittags.“ Das macht Sinn. Es sind nur zwei Besucher da, acht waren es diesen Vormittag insgesamt, und der Eintritt ist frei. Durch die gemauerten Schießscharten hat man fast exakt denselben Ausblick wie einst die Ritter der portugiesischen Könige. Von irgendwoher klingelt plötzlich ein Handy. Als ob es beweisen wollte, dass sich doch etwas verändert hat seit damals. Dass man sich durch die Kulisse nur nicht täuschen lassen sollte.