Ohne die Huskys wäre der Aufstieg eine Tortur. Foto: Marc Vorsatz
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Sie können ihre Finger und Zehen kaum noch spüren. Trotzdem warten die drei Arktis-Abenteurer aus Hessen und der Schweiz wie gebannt auf „ihre“ Polarlichter. Seit einer Stunde nun schon. Expeditionsleiter Thomas Nilsen musste bereits die erste Frostbeule an einem Finger mit Salbe versorgen. Er hat gemahnt, jeder Einzelne müsse jetzt wirklich auf sich aufpassen. Besonders Erfrierungen an Nase, Wangen und Ohren spüre man oft kaum. Seinen Schutzbefohlenen präsentiert er – wie nebenbei – sein Operationsbesteck. Not-OPs müsse er an Ort und Stelle selbst durchführen, schließlich sei die kleine Gruppe von jeglicher Kommunikation zur Außenwelt abgeschnitten. Aha! Dabei fing doch alles so gemütlich an.
1Die beiden Guides Thomas Nilsen und Liv Engholm sitzen mit den Urlaubern in einer behaglichen Blockhütte im Städtchen Alta im äußersten Norden von Norwegen. Von hier sind es nur noch 1 863 Kilometer bis zum Nordpol aber schon 2 360 bis ins Rhein-Main-Gebiet. Es duftet verführerisch nach deftigem Rentiergulasch. Beim gemeinsamen Schlemmen lernen sich Profi- und Hobbyabenteurer kennen. Und nicht zu vergessen Nemi und Biigha, die treuen American Huskys, die kurz zur Begrüßung ins warme Haus dürfen. Das ist eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Schließlich wollen sie zusammen die Überquerung des menschenleeren Finnmark Plateaus in Norwegisch-Lappland auf Skiern wagen.
2Tag zwei. Ein ausgiebiges Frühstück, Lebensmittel kaufen, die fünf Hi-Tec-Schlitten beladen, Gurtzeug anlegen, Skier anschnallen und los geht’s. Stunde um Stunde scheint jeder der 35-Kilo-Schlitten schwerer zu werden. Wer das Tempo der Gruppe nicht mehr halten kann, bekommt Unterstützung von Biigha oder Nemi. Dann werden die Huskys mit eingespannt, was ihnen größte Freude zu bereiten scheint. Es sind wahre Arbeitstiere, sie strotzen nur so vor Energie. Mit Einbruch der Dunkelheit erreichen sie die Jotka Lodge. Guide Thomas meint, nun wäre es langsam an der Zeit, sich an die arktischen Nächte im Zelt zu gewöhnen und reißt die Fenster sperrangelweit auf. Die Urlauber verkrümeln sich schlagartig komplett in ihre Mumienschlafsäcke.
Ohne die Huskys wäre der Aufstieg eine Tortur. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
Der Same Piera-Johvna-Utsi ist Rentierzüchter. Foto: Marc Vorsatz Foto: Marc Vorsatz
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3Tag drei. Es wird ernst. Die Abenteurer verlassen das letze Refugium menschlicher Zivilisation und folgen der historischen Postroute von Alta in Richtung der Samenhochburg Karasjok. Ab jetzt gibt es nicht einmal mehr Wege und es geht nur noch bergauf. Der Baumbestand wird spärlicher, die Bäume mickriger und die Schlitten schwerer. Ziel ist das Finnmark Plateau, wo sich nur noch Moose und Flechten unter meterdickem Schnee verstecken. Der Anstieg ist hart, ohne Nemi und Biigha wäre er eine Tortur. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schlagen sie erstmals ihre Zelte auf. Jeder Handgriff fällt schwer, die Urlauber sind müde und ausgelaugt.
Beim Baumfällen wird ihnen langsam wieder warm. 40 bis 50 Jahre sind die mannsgroßen und armdicken Birken alt. Sie wachsen hier im hohen Norden extrem langsam. Der gesamte Bestand gehört dem Staat Norwegen, und das Abholzen für den Eigenbedarf ist allen Outdoor-Aktivisten ausdrücklich gestattet.
INFORMATION
Pauschal Reisen: Die hier beschriebene 9-tägige Tour Finnmark Plateau Ski-Expedition mit Huskies und Schlitten, Cross Country Skiing, Unterkunft in Hütten und unbeheizten Zelten kostet inkl. VP und Ausrüstung ca. 1 804 Euro p. P. zzgl. Flug, 0047-9 08-5 55 56, www.turgleder.com.
Alternative Huskyfarm: „Huskyabenteuer Finnmark“, 5 Tage inkl. 3 Tage Hundeschlittentour, Unterricht in Dogmushing, Guide, Winterkleidung, VP und Flügen ab 2 429 Euro p. P. bei Huskytrack, 03303 - 2 97 31 11, www.huskytrack.de.
Anreise: Flug mit Lufthansa/SAS ab Frankfurt via Oslo und Tromsø nach Alta ab ca. 350 Euro retour.
Zum ersten und letzten Mal auf der Tour sehen die fünf Abenteurer fern. Es gibt allerdings nur ein Programm: Hunter’s Television heißt dieser Lappland-Kanal, was so viel wie Jäger-Fernsehen bedeutet. Das Programm ist zwar etwas eintönig, aber trotzdem total schön. Stundenlang schauen alle ins wärmende Feuer und können sich gar nicht sattsehen.
4Mit den ersten Sonnenstrahlen wird es fast kuschlig warm im Zelt am Morgen des vierten Tages. Die Temperatur klettert von minus 23 Grad auf minus 18. Immerhin. Liv lockt mit frisch gebrühtem Kaffee und heißem Müsli. Tut das gut! Beides muss jetzt ganz schnell weg, ansonsten friert nach wenigen Minuten alles ein. Dann heißt es völlig vereiste Zelte abbrechen. Die Atemluft kondensiert nachts innen an den Wänden.
Nach fünf Stunden sachter Steigung sind sie endlich angekommen auf dem Finnmark Plateau – und in der Eiswüste. Kein Baum, kein Strauch, kein Tier, nichts. Nur noch endloses Weiß unter stahlblauem Himmel. Und Stille. Absolute, fast beunruhigende Stille. Sie laufen und laufen, Stunde um Stunde. Nichts verändert sich. Unten weiß, oben blau, kein Ziel in Sicht. Nur der Kompass weist den Weg und sie kämpfen gegen Kälte, Müdigkeit und diese schwer fassbare Monotonie an.
Nach dem Abendessen warten alle mit schussbereiten Kameras auf „ihre“ Polarlichter. Kein Vergnügen bei frostigen 27 Grad unter Null. Finger und Zehen tun schon weh, die Batterien geben nach und nach auf. Sonst werden sie eng am Körper getragen. Seine Schützlinge sollten jetzt wirklich aufpassen, mahnt Thomas. Heute Nacht gibt es keine Polarlichter, aber der Mond taucht die Eiswüste in ein kaltes, magisches Licht. Irgendwann verkriechen sich alle ins Zelt. Dort ist es jedoch auch nur ein Grad wärmer als draußen.
5Tag fünf. Nach dem Frühstück gehen die Männer auf dem Giellanjávrrit See Eisangeln. Um ehrlich zu sein, die Städter hätten nicht einmal erkannt, dass sie an einem großen See gezeltet hatten. Wie ein weißes Kleid legt sich der Schnee über die Landschaft, überdeckt jedes Detail. Nur der malerische Berg Vuorji durchbricht die flache Ebene. Dabei campieren die einsamen Abenteurer Nacht für Nacht an einem anderen See, benötigen sie doch täglich Wasser zum Trinken, für Kaffee, Tee, heiße Schokolade und die gewöhnungsbedürftigen Trockengerichte. Aus der leckeren Fischmahlzeit wird jedoch nichts. Kein einziger Arktischer Saibling scheint sich für die Leckerbissen zu interessieren. Dann marschiert ein jeder wieder gegen die Monotonie der Hochebene an. Es ist ein Kampf ohne Höhepunkte, der Gleichmut, Ausdauer und Willensstärke verlangt. Nur Biigha und Nemi scheinen in ihrem Element zu sein.
6Tag sechs. Am Nachmittag wird die Landschaft endlich wieder etwas abwechslungsreicher. Ein schmales Tal zerfurcht plötzlich die Ebene. Der Poastajohka, der Postfluss, hat sich über Jahrtausende tief in den Stein geschnitten. Der Abstieg ist wirklich hart. Jetzt schieben die Schlitten ihre Führer mit dem ganzen Gewicht gnadenlos abwärts. Beim steilen Aufstieg danach geraten selbst Liv und Thomas an ihre Grenzen.
7Am siebten Tag dann endlich Erleichterung. Langsam aber sicher geht’s bergab. Die ersten vereinzelten Bäumchen schlagen sich wacker im Schnee. Plötzlich brechen die beiden Huskys seitlich aus und jagen ein paar schneeweiße Vögel in die Flucht, die für ungeübte Augen einfach unsichtbar im Schnee gewesen waren. Die ersten Wildtiere nach einer Woche. Zurück im Leben. Die Gruppe stößt auf Piera Johvna Utsi. Rauch steigt aus dem Kanonenofen seines uralten Wohnanhängers. Der 71-jährige Same ist freudig überrascht über den unerwarteten Besuch. 1 200 Rentiere nennt er sein eigen. Irgendwo hinter den sanften Hügeln befindet sich seine Herde. Zufüttern müsse er im Winter und die Tiere wieder zusammentreiben, wenn der Vielfraß sie verstreut hat.
8Tag acht und es geht nur noch sanft bergab durch sattgrüne, herrlich dichte Nadelwälder. Am Abend hat die Abenteurer die Zivilisation dann endgültig wieder. Wie komfortabel die beheizten Blockhütten der Husky Lodge von Livs Eltern doch sind. Am offenen Kamin lassen sie ihr arktisches Abenteuer Revue passieren. Ein bisschen Stolz klingt schon in ihren Stimmen mit.