Che bella! E una Giulia veloce!“ (Wie schön! Das ist eine schnelle Giulia! ) Zwei Bauarbeiter stützen sich an der Via Marconi auf ihre Schaufeln und spendieren bewundernde Blicke. Die vorbei schlendernde junge Blondine schaut verwirrt. Die Jungs glotzen doch tatsächlich nicht ihr, sondern einem roten Oldtimer-Alfa nach. Als sei nichts passiert, stöckelt sie weiter.
Im Frühling schält sich Cortina d’Ampezzo. Von Glamour in Alltag. Von Pelzmantel zum Frühlingsröckchen. Von Englisch und Italienisch ins Ladinische. Vom Internationalen ins Heimische. Von Weiß nach Grün. Von Ski und Board zu Mountainbike und Wanderstöcken. Von Winterwelt zum Frühlingserwachen.
Es liegt zwar noch eine gewisse Kühle auf der Haut, aber die Frühlingssonne tut schon ihr Bestes und wärmt die Bauarbeiter ebenso wie die schöne Blonde und den Verkehrspolizisten, der gerade einem noblen Bentley mit Roma-Kennzeichen ein Knöllchen verpasst. Als wolle er der Noblesse auch sagen: Eure Zeit ist langsam vorbei. Denn wenn die Röcke kürzer werden und die Ausschnitte tiefer, wird Cortina wieder normaler. Ohne Kitzbühel-Allüren und Arlberg-Stimmung. Ohne Bentley, Chanel und Roederer. Man trifft auf ein heiteres Städtchen, das die Sonnenstrahlen genießt, wenngleich die große Schneeschmelze erst noch kommt. 1211 Höhenmeter und je drei Zwei- und Dreitausender ringsherum sorgen für ein langsames Frühlingserwachen. Dafür dauert der Frühling in Cortina auch weit bis in den Juni hinein, wenn anderswo zumindest meteorologisch der Sommer bereits ausgerufen wurde.
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Cortina und die Dörfer der Umgebung strahlen abseits der edlen Boutiquen und großen Skihotels, die am Ende der Wintersaison in der Regel für ein paar Wochen schließen, noch eine gewisse untouristische Ruhe aus. Betritt man einen der kleinen Alimentari, dann riecht man noch das Aroma der 1960er-Jahre: eine Mischung aus Wurst und Putzmittel. Die Regale quellen über, die Mortadella in der Theke wird im beinahe reifengroßen Format angeboten und der Chef selbst packt die gekauften Waren fein säuberlich in Papiertüten. Dann ist Cortina echtes Italien. Obwohl es lange Zeit gar nicht Italien sein wollte. Nach dem Vertrag von Saint Germain von 1920 wurden die ladinischen Gebiete, inklusive Cortina, zusammen mit Südtirol und dem Trentino Italien zugesprochen. Wie viele Südtiroler weigerte sich aber die ladinische Bevölkerung, sich als Italiener zu bekennen. Das gilt bis heute für einige noch immer. Die Mehrheit plädiert jedoch inzwischen eher für eine Autonomie, ähnlich dem gut funktionierenden südtiroler Vorbild.
Cortina ist keines dieser klischeehaften italienischen Sehnsuchtsziele von früher, als Italien für die Deutschen noch ein Traum war. Aber Cortina und die umgebenden Dolomiten zeigen, dass sie auch ein Sehnsuchtsziel sein können – mit Wänden, Türmen, Zinnen, Zacken, Gipfeln und Becken, die ihresgleichen suchen. Dazu gesellen sich sattgrüne Almen, bewirtschaftete Hochplateaus, dunkle Seen, dichte Wälder und immer wieder das eine oder andere Refugio, in dem es leckere Nocken gibt, geräucherten Schinken, feinen Käse und selbst gebackenes Brot.
Vor rund 230 Millionen Jahren waren die Dolomiten noch ein Korallenriff. 200 Millionen Jahre später verschieben sich die Kontinentalplatten. Der gewaltige Druck hebt die Erde und faltet sie zu einem Gebirge. Le Corbusier, einer der bedeutendsten und einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts, sagte einst: „Die Dolomiten sind die eindrucksvollsten Bauwerke der Welt“. Und wenn man in den Bergen von Cortina umherwandert, dann unterschreibt man diese Aussage – obgleich der Himalaja doch viel höher und die Anden doch viel länger sind. Aber dieser Teil der Alpen besitzt eine Vielfalt und Gegensätzlichkeit wie nirgends anders. Und dieser 6000-Einwohner-Ort Cortina d’Ampezzo liegt mittendrin. Die vielleicht schönste Gebirgsformation der Alpen, die Drei Zinnen, liegt ums Eck, die große Dolomitenstraße führt schnurstracks ins Zentrum. Und kein geringerer als der 3218 Meter hohe Monte Cristallo ist der Hausberg.
REISE-CHECK
Anreise: Nächster Flughafen ist Venedig. Per Auto am besten über München, Innsbruck und die Brenner-Autobahn bis Ausfahrt Chiusa (Klausen).
Hotel: Das führende und über Cortina thronende Hotel ist das „Cristallo Resort & Spa“. Das 5-Sterne-Haus mit weitläufiger Sonnenterrasse gehört zur „Luxery Collection“ und ist seit 1901 in Familienbesitz. Ab 315 Euro pro Zimmer / Nacht, inklusive kostenfreiem Zugang zu den Spa-Einrichtungen, Fitness-Club und Pool, www.cristallo.it.
Restaurant: Im „Pontejel“ steht Marco Barozzi am Herd: Die ladinischen Rezepte hat er von seiner Tante, http://hotelpontejelcortina.it/de/restaurant. Uriger geht’s in dem kleinen Refugio „Pezié de Parú“ am Passo Giau zu (8 km von Cortina): lokale Küche, traumhafte Sonnenterrasse und voll verholzte Mansardenzimmer zu 90 Euro, www.peziedeparu.it.
Aktivitäten: Die Umgebung von Cortina d’Ampezzo bietet im Frühjahr und Sommer beste Bedingungen und eine Traumlandschaft für Golfer sowie Wanderer, Kletterer und Mountainbiker in jedem Schwierigkeitsgrad.
Auskunft: Info Point Cortina, Corso Italia 81, www.cortinadolomiti.eu.
„Ich wohne im ‚Cristallo’“, heißt es im „007: In tödlicher Mission“ von 1981, als Bond-Girl Carole Bouquet dem James Bond von damals, Roger Moore, den erfolgversprechendsten Weg in Cortina weist. Die Hotelikone vergab den Namen schon 1901, als das Haus oberhalb des Orts seine Türen erstmals öffnete: Es war eine Hommage an den bestimmenden Berg Cortinas und an die Dolomiten. Selbst für die Unesco, die mit dem Begriff „schön“ normalerweise so behutsam umgeht wie ein Priester mit Schimpfwörtern, bilden die Dolomiten „eine Serie einzigartiger Gebirgslandschaften von außergewöhnlicher Schönheit“. 2009 wurden sie zum Weltnaturerbe erklärt.
Sie werden ja auch die bleichen Berge genannt, weil ihre zackigen Gipfel so herrlich weiß strahlen, als ob sie damit ihre Einzigartigkeit noch unterstreichen wollten. Das helle Gestein fiel im Sommer 1789 auch einem französischen Wissenschaftler namens Déodat de Dolomieu auf. Er fand darin ein bis dato unbekanntes Mineral, das ihm zu Ehren Dolomit genannt und das zum Namensgeber des Gebirges wurde.
„Begnodüs“ heißt „willkommen“ auf Ladinisch. In Cortina wird häufig noch so gesprochen und auch noch ladinisch gegessen. Den heutigen Trend von der regionalen Küche, den gab es in Cortina schon immer. Die finanzielle Situation und die schwierige Versorgungslage haben dafür gesorgt, dass die ladinische Küche nicht verwässert oder internationalisiert wurde. Es gab kein Essen, das nicht aus lokalen Erzeugnissen gemacht wurde. Die Leute aßen Bales (Knödel), Gnoch (Nocken mit Spinat, Topfen oder Graukäse), Cajincì Arestis (Schlutzkrapfen) oder Jüfa und Scartè (ein Brei aus Milch und Mehl). Fleisch gab es selten. Auch Süßspeisen wie Kaiserschmarren und Strudel kamen kaum auf den Tisch: Sie waren schlicht zu teuer und zu aufwendig damals. Und so spürt man das Cortina-Gefühl nicht nur beim Blick auf Zinnen, Zacken und Gipfel, sondern schmeckt es sogar: bei Bales und Gnoch. Und ganz besonders bei den Stadtviertelfesten. Die Fiesta dei Sistieri gibt es schon seit Urzeiten. Es gibt Wettkämpfe, Aufmärsche in traditionellen Trachten, Musik, Tanz und natürlich Bratwurst, Polenta und ladinische Küche; jedes Wochenende, ausgerichtet von einer der sechs Gemeinden von Mitte Juli bis Ende August. Dann ist aber auch in Cortina d’Ampezzo schon Sommer.