Die Ordensburg von Rakveres. Foto: Ekkehart Eichler
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Da steht – nein, kein Pferd auf dem Flur –, vielmehr ein Stier vor dem Tor. Und was für einer. Der Muskelprotz mit angriffslustig gesenktem Gehörn ist von wahrhaft mythologischer Dimension: Sieben Meter lang, dreieinhalb Meter hoch und sieben Tonnen schwer, bewacht der Prachtbulle den Eingang zur Ordensburg von Rakvere. Er ist eine Hommage an den Ursprung des Ortes – die allererste Festung auf dem Hügel hieß Tarvanpää. Auf Deutsch bedeutet der Name Wisent – auch als Europäischer Bison bekannt.
Die Ruinen der Ordensburg stammen überwiegend aus dem 14. bis 16. Jahrhundert. Sie wurden von der Stadt Rakvere umfangreich restauriert und mit allerlei mittelalterlichen Attraktionen zum Leben erweckt. Hier darf man mit hölzernen Schwertern aufeinander einschlagen, mit Pfeil und Bogen schießen oder als Ritter ein Schlachtross auf Rädern besteigen – Kinder lieben so was heiß und innig.
Andererseits kommen aber auch die Geschichte der Burg und des Livländischen Ordens nicht zu kurz. Es gibt ordentlich was zum Schauen in Höfen und auf Wehrgängen, in Rittersaal und Gemächern, in Waffenkammer und Weinkeller sowie in einer wirklich schaurigen Folterkammer. Dort sorgt Erschrecker Hans für mörderischen Grusel und erhöhtes Herzinfarktrisiko. Alles in allem ein unterhaltsamer Mix aus Spiel, Sport und Spannung – nicht nur für die lieben Kleinen.
Die Ordensburg von Rakveres. Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
Das Herrenhaus von Vihula ist eines von 26 Gebäuden des ehemaligen Gutshofs. Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
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Auf den ersten Blick scheint auch Vihula in einer anderen Zeit und Welt zu liegen. Rechts ein wildwuchernder Acker mit altgedienter Windmühle drauf. Linkerhand Wiesen und Weiden mit Kühen und Schafen. Zentral zwei weiße Torpfosten mit Adelswappen. Und dahinter der dunkelgrüne Tunnel einer Lindenallee, die zum Herrenhaus führt. Genauso könnte es ausgesehen haben, als die Familie von Schubert hier noch das Sagen hatte. Aber das ist nun schon lange vorbei.
Talvi Luther ist Expertin in Mysterien der hiesigen Geschichte. Um 1900, erzählt sie, besaßen etwa 200 deutsch-baltische Adelsfamilien Gutshöfe in Estland, manche sogar einige Dutzend. Mit der russischen Revolution von 1905 begann deren Niedergang, mit der Bodenreform von 1919 verloren die Adligen Grundbesitz und Privilegien. 1939 schließlich wurden endgültig alle Verbindungen zwischen den einstigen Besitzern und ihren Gütern gekappt, als die Baltendeutschen samt und sonders nach Deutschland umgesiedelt wurden. Als die Kinder von damals 50 Jahre später wiederkamen, erkannten sie die Welt nicht mehr. Während der Sowjetzeit waren die Höfe sich selbst überlassen worden und verfallen.
INFORMATIONEN
Anreise: Air Baltic fliegt von Frankfurt, Düsseldorf und Berlin-Tegel über Riga nach Tallinn, ab 78 Euro (One Way), Transferzeit nach Vihula, Sagadi oder Palmse etwa eine Stunde.
Übernachtung: Vihula Manor, ab 109 Euro; Sagadi Manor, ab 80 Euro; Park Hotel Palmse, ab 64 Euro, jeweils im Doppelzimmer inkl. Frühstück.
Pauschal: Die siebentägige Privatreise „Estnische Gutshöfe und Herrenhäuser“ gibt es bei Gebeco ab 795 Euro (inklusive Tallinn).
Exkursionen, Tages- und Fahrradtouren: Talvi Luther (spricht perfekt Deutsch), www.villaveranda.ee.
Reiseführer: Dumont Reisehandbuch „Baltikum“, ISBN 978-3-7701-7711-0, 24,95 Euro.
Seit einigen Jahren wird mancherorts gerettet, was noch zu retten ist. Diverse Gutshöfe wurden restauriert und erlebten als Museen, Restaurants oder Hotels eine stilvolle Wiedergeburt. So auch das luxuriöse Vihula Manor Country Club & Spa. Es ist ein Ensemble aus 26 Gutshofgebäuden, das nur vier Kilometer von der Ostsee entfernt in einer romantischen Parkidylle liegt.
Was heute in den alten Mauern drinsteckt ist verblüffend. Swimmingpool im Pferdestall, Spa in der Kutschenremise, russische und finnische Sauna in der Schmiede. Die ehemalige Scheune ist ein Konferenzzentrum, die Wassermühle ein Museumscafé, der Eiskeller eine Taverne. Es gibt sogar ein hauseigenes Wodka-Museum – und vieles mehr. Ein vollauf gelungenes Experiment, das freilich seinen Preis hat.
Auch Gut Sagadi – ebenfalls in der Gemeinde Vihula – glänzt landschaftlich wie architektonisch. Das spätbarocke rosa-weiße Haupthaus ist komplett eingerichtet und liegt in einem urwüchsigen Park. Der Gutshofkomplex wurde von der staatlichen Forstverwaltung auf Hochglanz getrimmt und zu einem Zentrum für Kultur, Tourismus und Naturausbildung entwickelt. Besonders sehenswert sind neben dem Haupthaus das Waldmuseum und die Naturschule. Ein hübsches Kleinod ist auch das hauseigene Hotel.
Wiederum nur einen Katzensprung weiter entfaltet das Vorzeigeobjekt aller estnischen Gutshöfe seine ganze Pracht: Palmse. Es wurde ausnahmsweise schon zu Sowjetzeiten gehegt und gepflegt, „weil ein cleverer Kolchos-Vorsitzender Wahnsinnssummen aus Moskau locker zu machen verstand,“ sagt Talvi. Das Ergebnis imponiert: Das opulente Herrenhaus erlaubt auf drei Etagen einen erstklassigen Einblick in die Lebensweise des deutschbaltischen Adels. Und die weitläufigen Parkanlagen sind ein landschaftsgärtnerischer Traum. Mit Teichen und Tempeln, Badehaus, Orangerie und Schnapsbrennerei, in der heute das Palmse-Hotel steckt. Ein idealer Platz für Konzerte, Kongresse, Lesungen und – natürlich – Trauungen.
Vihula, Sagadi und Palmse haben aber noch eine weitere Gemeinsamkeit. Sie liegen allesamt in Estlands ältestem Nationalpark Lahemaa, dem „Land der Buchten“. In dem Naturparadies an der Ostseeküste wachsen 800 höhere Pflanzenarten, 250 Flechten und 100 Moose. 50 Säugetierarten, darunter Elche, Bären, Luchse, Füchse und Biber leben hier so gut wie ungestört.
Die geplante Runde ums Hochmoor muss leider ausfallen, „weil wir uns nicht freiwillig zur leichten Beute von Millionen Blutsaugern machen werden.“ Talvi hat eine gesündere Idee und fährt kurzerhand an die Küste nach Käsmu. Ein Ort, der als Kapitäns-, aber auch Witwendorf bekannt ist. Auf der hiesigen Seemannsschule nämlich lernten einst Kapitäne ihr Handwerk, segelten anschließend über alle Weltmeeren und kehrten häufig nicht von diesen Reisen zurück. Ihre prächtigen Holzhäuser aber schmücken Käsmu bis heute.
Eigentümliches Flair verleiht dem beliebten Ferienort außerdem das größte Feld von Findlingen in ganz Estland. Es sind Hunderte Felsbrocken aller Größen, die ein Riese der Sage nach an den Ostseestrand geworfen hat. Manche von ihnen sollen versteinerte Teufel sein, „die man auf keinen Fall bewegen darf, weil das Unglück bringt“, erklärt Talvi.