Die Südspitze Italiens bietet schöne Urlaubsziele – auf Massentourismus ist Kalabrien aber nicht vorbereitet
Von Mario Thurnes
Die Aussicht auf Capo Vaticano gehört zu den eindrucksvollsten Kalabriens. Foto: Mario Thurnes
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Die Strada Statale 522 von Pizzo nach Tropea, durchs südliche Kalabrien ist kurvenreich. Alle 500 Meter eröffnet sich von der Straße aus ein neuer Anblick und jede Sicht auf das Tyrrhenische Meer konkurriert mit ihrer Vorgängerin, will schöner sein, spektakulärer. Den meisten gelingt das sogar: Schroffe Steine, wilde Pflanzen und tiefe Abgründe treffen auf blaues Wasser, in seinen besten Momenten azurfarben. Ein guter Platz, seinen Urlaub zu verbringen.
„Der Name Tropea stammt von dem Wort für Trophäe“, erzählt Reiseführerin Claudia Gandolfi. Verliehen habe ihn der griechische Göttervater Zeus persönlich. Denn der habe die Stadt als eben solche Trophäe für einen Sieg gegründet, geht Gandolfis Erzählung weiter. Ihre Geschichten sind alle so: Nach Maßstäben des angelsächsischen Journalismus kaum belegbar – aber romantisch, unterhaltsam und schlicht schön. Doch den angelsächsischen Journalismus sowie seine strengen Maßstäbe lässt der Besucher schnell hinter sich, wenn er in Lamezia Terme gelandet ist. Irgendwo kurz hinter Pizzo Calabria. Hier ist übrigens das Tartufo-Eis erfunden worden, was historisch belegt ist. Gandolfi berichtet, eine Prinzessin aus dem Piemont sei zum Staatsbesuch in Pizzo gewesen und die Einwohner hätten eine Beziehung zu ihrem Heimatland aufbauen wollen, deswegen das Eis, das an im Piemont wachsende Trüffel erinnert. Stimmt so nicht, klingt aber gut.
Letztlich lässt das südliche Kalabrien viel Platz für Fantasie: Das Meer ist schließlich blau, in seinen besten Momenten azurfarben. Die Strände sind mit dem Wort malerisch nur wenig originell, aber dafür sehr treffend beschrieben. Die Meeresbrise macht die warme Luft erträglich – und die riecht so gut. Mal nach Zedern, mal nach Zitronen. Oder waren es Limonen? Egal. Bloß nicht so viel fragen in Kalabrien. Der später heilig gesprochene San Bruno hat das erkannt. Er hatte dem Papst offen widersprochen – und das hätte eigentlich sein Todesurteil bedeuten müssen, erzählt Gandolfi. Das Heiligenlexikon weiß es ein wenig anders zu berichten. Doch dessen Variante hätte keine so schöne Pointe wie bei der Reiseführerin gebracht: Denn Brunos Schluss ist laut Gandolfi gewesen, wenn er sich nicht äußern könne, wie er wolle, dann werde er künftig schweigen. Er zog es durch und gründete den Schweigeorden der Kartäuser.
INFORMATIONEN
Anreise: Mit dem Flugzeug ab Frankfurt nach Lamezia Terme zum Beispiel mit Condor ab 265 Euro.
Unterkunft: Zum Beispiel das Cooee Michelizia Tropea Resort in Tropea, sieben Nächte im Doppelzimmer ab 420 Euro pro Person. Villaggio Baia D’Ercole in Capo Vaticano, sieben Nächte im Doppelzimmer ab 301 Euro pro Person. Beides als als Pauschalreise buchbar über www.dertour.de.
Der Orden betreibt heute noch ein Kloster in Serra San Bruno. Das liegt gut anderthalb Autostunden von Tropea entfernt. Die Strecke ist mühsam zu fahren. Denn die Straße ist eng, in Kurven kommen zwei Fahrzeuge kaum aneinander vorbei. Im Kloster angekommen gibt es ein Museum, in dem die Arbeit des Ordens vorgestellt wird. Tropea selbst wird tatsächlich seinem Namen gerecht: Wie eine Trophäe thront die Stadt mit knapp 7000 Einwohnern über dem Tyrrhenischen Meer. Die Wege aus den Hotels zu den Stränden sind steil. Die Reiseführer empfehlen Besuchern mit Gehbehinderungen, sich vorab zu informieren, welche Strände für sie in Frage kommen.
Wenn es um Kalabrien geht, fallen in Deutschland zwei Schlagwörter. Das eine ist die Mafia oder auch Ndrangheta, wie die kalabrische Organisation heißt. Sie sieht der Tourist mit bloßen Augen nicht. Denn sie ist das, „das es nicht gibt“. Laut Gandolfi stammt der Name Mafia aus dem Arabischen und steht für eben diesen Halbsatz: „Das es nicht gibt“. Wikipedia listet einige Möglichkeiten auf, wie das Wort „Mafia“ entstanden ist. Die genannte ist nicht drunter. Aber wer ohnehin nicht in Stimmung ist, Fragen zu stellen, der sollte nun wirklich nicht bei der Mafia damit anfangen. „Die Menschen haben hier Geld“, berichtet Gandolfi. Die Stadt sei fest in der Hand alter Familien. Wer hier etwas bauen oder ein Geschäft gründen wolle, der müsse das mit dem Einverständnis seiner Nachbarn tun. Sonst komme er nicht weit. An den Palazzi fehlt zwar häufig der Putz und es sind noch Spuren der Bauarbeiten zu sehen, doch das sei Tradition. Im 17. Jahrhundert hätten die Einwohner von Tropea erst Steuern für fertig gestellte Häuser zahlen müssen – weshalb diese nie wirklich fertig wurden. Diese Geschichte von Gandolfi steht im Widerspruch zu dem zweiten Wort, das in Deutschland häufig im Zusammenhang mit Kalabrien fällt: Armut. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Besonders unter Jugendlichen. Wer etwas werden will, zieht weg. In die großen italienischen Städte, nach Deutschland oder in die USA. „Es gab keinen Platz hier für die Armen“, erzählt Gandolfi. Wer nicht zu den alten Familien gehört, könne nichts werden. Kalabrien ist kein Platz für Aufsteiger.
Die Tourismusbranche in Kalabrien hofft auf einen Anstieg der Zahlen. Etwa als Alternative für Touristen, die der Türkei aus politischen Gründen den Rücken kehren. Doch das Wachstum, letztlich also der Massen-Tourismus, droht, an den Umständen zu scheitern: angefangen bei den engen Straßen. Aber auch dem kalabrischen Stolz, der die Einheimischen nicht gerade zu Vorbildern in Sachen Service macht.
So bleibt der Urlaub in Kalabrien einer für Genießer. Für Menschen, die von Palazzi auch oder gerade ohne Putz beeindruckt sind. Die etwas über die Griechen, Römer, Normannen, Sarazenen und Steinzeit-Menschen erfahren wollen, die alle in Kalabrien ihre Spuren hinterlassen haben. Und die Strände genießen wollen, die mit ruhig und malerisch nur wenig originell, aber sehr zutreffend beschrieben sind.