Christen in Äthiopien: Ein Besuch in den Felsenkirchen von Lalibela
Von Philipp Hedemann
Die Sankt-Georgs-Kirche in Lalibela von oben. Foto: Friedrich Roeingh
( Foto: Friedrich Roeingh)
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Es ist mir genug, weiter über diese Denkmäler zu schreiben, denn wahrscheinlich wird mir niemand glauben, wenn ich noch weiter schreibe, und weil man mich schon wegen dessen, was ich bereits geschrieben habe, für einen Lügner halten wird. Deshalb schwöre ich bei Gott, in dessen Gewalt ich bin, dass alles, was ich geschrieben habe, die Wahrheit ist, und dass ich sogar einiges ausgelassen habe, aus Furcht, man würde mich der Fälschung verdächtigen“, leitete der Portugiese Francisco Álvarez Anfang des 16. Jahrhunderts seinen Bericht über den Besuch der Felsenkirchen Lalibelas ein.
Heute pilgern Touristen und Gläubige gleichermaßen zur in den Stein geschlagenen Frömmigkeit. Dabei verdanken die Felsenkirchen im Norden Äthiopiens ihre Existenz der Sage nach einem ganz und gar unchristlichen Verbrechen, einem versuchten Brudermord. Im 12. Jahrhundert vergiftete König Harbay seinen jüngeren Bruder Lalibela. Doch Lalibela fiel nur in einen dreitägigen Schlaf. Im Traum führte Gott ihn nach Jerusalem und befahl ihm, in Äthiopien ein zweites Jerusalem zu errichten.
Aus dem Koma erwacht, tat der visionäre Lalibela, wie ihm geheißen war, und begann das Abbild der heiligen Stadt in Palästina in den roten Tuffstein Äthiopiens zu schlagen. Da die Aufgabe für Menschenhand zu groß war, sandte Gott himmlische Hilfe. Nachdem der wie ein Besessener arbeitende König sein Tagwerk beendet hatte, schwebten Nacht für Nacht Engel vom Himmel und schafften im Schutz der Dunkelheit das Doppelte von dem, was der fromme König tagsüber mit seinen Arbeitern erreicht hatte. Während seiner vierzigjährigen Herrschaft schufen Lalibela und die Engel so elf Kirchen.
INFORMATION
W Anreise: Nonstop-Flüge mit Lufthansa und Ethiopian von Frankfurt nach Addis Abeba ca. 550 Euro.
W Visum: Gibt es beim Äthiopischen Generalkonsulat Frankfurt, consul.eth@t-online.de.
W Reisezeit: November bis Januar ist die beliebteste Reisezeit. Das Hochland ist ganzjährig zu bereisen. Die Regenzeit von Mitte Juni bis Mitte September sollte man aber meiden. Die Temperaturen bewegen sich das gesamte Jahr über zwischen 22 und 30 Grad.
W Gesundheit: Impfungen auffrischen: Hepatitis A und B, Polio, Tetanus, Gelbfieber. Im Norden Äthiopiens reicht es, Malariamittel stand by mitzunehmen statt eine Malaria-Prophylaxe einzunehmen.
W Unterkünfte: Reiseveranstalter wie world insight, One World und Studiosus bieten Reisen in Kleingruppen an. Über äthiopische Agenturen (Monpays Tours, Happy Nation Tour Ethiopia) kann man individuelle Touren buchen.
„Diese Kirchen könnten Menschen auch heute nicht ohne Gottes Hilfe erschaffen“, glaubt Belay, der uns durch die monumentalen Basiliken, geheimnisvollen Kirchen, versteckten Kapellen, kühlen Krypten, dunklen Gänge und steinernen Labyrinthe führt. Zwischen den Spitzbögen aus der islamischen Welt, griechischen Kreuzen, pompösen Pilastern und romanischen Bögen und Malteserkreuzen scheint die Zeit vor Jahrhunderten stehen geblieben zu sein.
Um ihren Göttern möglichst nahe zu sein, streben Menschen überall auf der Welt in die Höhe, errichten majestätische Kathedralen, mächtige Moscheen und trutzige Tempel. In Lalibela suchen die Gläubigen Gottes Nähe in der von ihm geschaffenen Erde. Warum, das ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Wollten sie sich vor Feinden des Christentums verstecken? Wohl eher nicht, denn die Kirchen lassen sich äußerst schlecht verteidigen. Dennoch legten Lalibela und seine Handwerker riesige, monolithische Blöcke frei. Sie höhlten die Steine von innen aus, schufen Altäre, Gewölbe und heilige Hallen. Achthundert Jahre ist es her, dass in Lalibela der letzte Hammerschlag getan wurde, doch das von Menschen und Engeln geschaffene Meisterwerk ist kein lebloses Museum.
Im Licht und Schatten der verwinkelten Gänge wandeln in Weiß gewandete Pilger; in den Kirchen studieren Priester die uralten, heiligen Schriften; in den Kapellen sind Gläubige ins Gebet vertieft. Nachts lehnen sich die Seelenheilsuchenden, die im Stehen beinahe einschlafen, auf lange Gebetsstäbe. Im Schatten der knorrigen Olivenbäume, oberhalb der sich im Fels versteckenden Kirchen, sitzen junge Priesterschüler mit ihren Lehrern und lernen Verse in der alten Kirchensprache Ge’ez. In kleinen, in den Fels getriebenen Höhlen backen Kirchendiener über rauchenden Feuern heiliges Brot für den Gottesdienst, der Duft von Weihrauch und Myrrhe wabert durch das Felsenlabyrinth. In weiße Tücher gehüllt und mit einem Turban auf dem wie aus Stein gemeißelten Gesicht sitzt Priester Abba Melesse Demis auf den Stufen der Marienkirche. Bei ihm lernte unser Führer Ge’ez, mit ihm studierte er die Bibel.
Der Priester mit der hellen Stimme erzählte Belay die uralten Geschichten von König Lalibela und taufte den damals vierzig Tage alten Jungen in einem in den Stein gehauenen Becken, in dem auch Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch baden. Belays Taufe liegt mittlerweile vierundzwanzig Jahre zurück, doch wenn den frommen Fremdenführer etwas bedrückt, wendet er sich mit seinen Sorgen immer noch an den geduldig zuhörenden Kirchenmann. Abba Melesse Demis ist seit dreiunddreißig Jahren Priester, seit achtundzwanzig Jahren dient er in Lalibela. „Schon mein Vater und mein Großvater waren hier Priester. Mir wird mein Sohn nachfolgen. Ich bin der glücklichste Mensch, weil ich schon auf Erden dem Himmel so nah sein darf“, sagt der Geistliche.
Nachdem auch Belay das silberne Kreuz Abba Melesse Demis geküsst hat, führt er uns weiter zum krönenden Abschluss des Wirkens König Lalibelas. Auf einem kargen Felsplateau etwas abseits der anderen Kirchen erblicken wir das meistfotografierte Motiv Äthiopiens: die Kirche des Heiligen Georg. Fünfzehn Meter hoch erhebt sich der Bau mit dem kreuzförmigen Grundriss aus dem Felsen. Grün schimmern die Flechten auf dem roten Stein, weiß leuchtet das Gewand eines Kirchendieners, der den aus dem Stein gemeißelten Hof kehrt. Die jüngste ist die vollkommenste Kirche des neuen Jerusalem. Doch beinahe wäre sie nie gebaut worden. König Lalibela hatte bereits zehn Kirchen errichten lassen und dachte, er hätte seine göttliche Mission erfüllt, als Sankt Georg ihm erschien. Der Heilige beschwerte sich beim König, weil dieser ausgerechnet ihm bisher noch keine Kirche gewidmet hatte. Hufspuren seines Pferdes im Fels an der Kirche legen noch heute Zeugnis vom Besuch des beleidigten Georgs in Lalibela ab. Die Kritik des wichtigsten äthiopischen Heiligen wollte der König nicht auf sich sitzen lassen. Also begann er mit himmlischer Hilfe mit seinem letzten Werk.
Bei keiner anderen Kirche in Lalibela sind die Formen so perfekt, die Proportionen so harmonisch, die Ornamente so kunstvoll. „Lalibela hat in der Kirche des Heiligen Georg alle Erfahrungen, die er beim Bau der ersten zehn Kirchen sammelte, einfließen lassen“, erklärt Belay. Als Dank für den Bau der Kirchen ernannte die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche den frommen König nach dessen Tod selbst zum Heiligen.
Der Autor: Philipp Hedemann arbeitete drei Jahre als Afrika-Korrespondent in Äthiopien. Der Beitrag ist seinem Reisebuch über Äthiopien entnommen: „Der Mann, der den Tod auslacht“, DuMont, 258 Seiten, 14,99 Euro.