Die Proteste im Iran dauern seit Monaten an. Was hinter Frisuren von Männern und Frauen steht, erläutert die Gießener Kulturhistorikerin Alma-Elisa Kittner.
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Frau Kittner, die Berichterstattung über den Protest der Frauen im Iran hat abgenommen. Aber es gibt immer noch Frauen, die Kopftücher abnehmen und sich die Haare abschneiden. Wie wirken diese Zeichen auf Sie?
Das Kopfhaar ist eine Art Grenzmarkierung: zwischen privat und öffentlich, innen und außen, Kultur und Natur – der zivilisierte Mensch ist nicht so stark behaart – und auch zwischen männlich und weiblich. Ich fand es spannend und sehr mutig von den iranischen Frauen, dass sie ihre Haare klar zum Thema gemacht haben, dass sie selbst bestimmen möchten, was die Haare für sie bedeuten.
Woher kommt die Bedeutung der Haare?
Eine wichtige Bedeutung stammt aus dem religiösen Kontext: Es gibt Darstellungen der Mutter Maria mit langen Haaren. Es ist nicht sexuell-erotisch aufgeladen – im Gegenteil, es soll ihre Jungfräulichkeit markieren. Erst später, wenn die Frauen verheiratet, unter der Haube waren, mussten sie ihre Haare verhüllen. Diese Tradition gibt es bis heute, etwa bei katholischen Nonnen. Bei ihnen bedeutet die Verhüllung, dass sie ihr Leben sakral ausgerichtet haben, dass sie nicht verfügbar sind für den öffentlich männlich kodierten Blick. Es gibt die Tradition im Islam, im Christentum und auch im orthodoxen Judentum. Bei Letzterem tragen Frauen Perücken.
Freiwilliges und unfreiwilliges Haareschneiden
Wie bewerten Sie Solidaritätsbekundungen, etwa wenn sich Nicht-Iranerinnen öffentlichkeitswirksam die Haare abschneiden?
Diese Aktionen sind erstmal ein Zeichen von Solidarität, was man begrüßen kann. Wenn man genauer hinschaut, kommt es darauf an: Wer macht es, in welchem Kontext und in welcher Form beschäftigt sich jemand darüber hinaus mit der politischen Thematik? Das selbstbestimmte Haare-Abschneiden steht übrigens im Gegensatz zum unfreiwilligen Haare-Abschneiden. Die bedeutet Entrechtung oder Dehumanisierung.
Das heißt, eine Frisur kann für eine politische Einstellung stehen.
Haare bekommen eine politische Bedeutung, etwa die der Selbstermächtigung – selbst darüber zu bestimmen, was ich mit meinem Körper mache, wie ich ihn zeige und wie ich mich als Frau innerhalb des öffentlichen Blicks positioniere. Insbesondere bei emanzipatorischen Bewegungen gerät das Haar in den Fokus. Zum Beispiel haben sich viele Frauen in den 1920er Jahren einen Bubikopf schneiden lassen. Das ging einher mit einer Mode, die ihre Körper nicht mehr so eingeengt hat, das Korsett fiel weg. Sie haben sich als moderne Frau, als neue Frau definiert, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit gefordert. 1918 haben die Frauen sich das Wahlrecht erkämpft. Vorher war um die Wende zum 20. Jahrhundert in der Kunst das Bild der dämonischen Frau verbreitet, etwa bei Franz von Stucks „Die Sünde“: die Frau mit den gelösten, lockigen Haaren, die als Bedrohung wahrgenommen wurde.
Auch Männer wollen über ihre Haare selbst bestimmen
Und bei den Männern?
In 1970er Jahren ließen sich vor allem die Männer die Haare wachsen, den Bart stehen. Das Haar wurde zum Ausdruck einer Revolte gegen die Väter-Generation aus dem Nationalsozialismus, die eher eine militärisch gestutzte Frisur hatten. Raus aus der Kontrolle, hin zu Selbstbestimmung, einer politischen Freiheit, die letztlich zur Gründung neuer Parteien wie der Grünen führte. Dennoch: Die Geschlechtergrenzen spielten auch damals eine Rolle – bis heute: Wenn ein Kind mit langen Haaren herumläuft, wird immer gefragt: Ist das ein Junge oder ein Mädchen? Das Haar wird immer wieder zu einem Ort, an dem Festschreibungen passieren. Wenn man sich dagegen wehrt, hat es oft eine politische Aussage.
Ist es nicht auch eine Wellenbewegung? In den 1920er Jahren wollten Frauen modern sein, später haben sie wieder Kopftücher getragen, die Haare versteckt.
Auch die sogenannten Trümmerfrauen nach dem Zweiten Weltkrieg trugen Kopftücher. Wie bei Bäuerinnen oder Arbeiterinnen in der Nahrungsmittelindustrie hatte es einen pragmatischen Nutzen – Sauberkeit. Aber in der Freizeit hat man es wieder abgesetzt. Als Cabrios auf den Markt kamen, haben Frauen ein Kopftuch getragen, um die Haare während der Fahrt zu bändigen. Mit der Sonnenbrille wurde es zu einem modischen Accessoire, das man beliebig an- und ablegen konnte. Trotzdem ist die Befreiungsbewegung beim weiblichen Körper nicht kontinuierlich, es gibt ein Vor und Zurück. Einmal erkämpfte Rechte können den Frauen wieder genommen werden. Im Moment erleben wir das bei der Abtreibung: In vielen Bundesstaaten der USA, in Polen, werden Gesetze erneut verschärft.
Wo ist bei Haaren die Grenze zwischen einer politischen Bewegung und einer Modeerscheinung?
Das kann man gut am Haar schwarzer Menschen zeigen. Im Kolonialismus sind Menschen, die versklavt worden sind, die Köpfe geschoren worden. Das schwarze Haar wurde als Bad Hair bezeichnet. In dem Spruch „Krause Haare, krauser Sinn“ hat die rassistische Vorstellung überlebt. Viele haben sich später die Haare geglättet. Bei der Bürgerrechtsbewegung hat man Afro getragen. Dieser wurde als natürlich betrachtet, doch der Schopf wurde gepflegt und inszeniert. Später ist der Afro zur Mode geworden und hatte keine politische Bedeutung mehr. Das bedeutet aber nicht, dass nur das politische Haar das richtige ist.
Michelle Obama wurde dafür kritisiert, ihr Haar zu glätten.
Nun trägt sie oft Braids oder Locken. Während der Amtszeit ihres Mannes waren beide Obamas stark im Fokus und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Michelle Obama konnte ihr Haar nicht curly tragen. Das wäre zu viel gewesen. Sie hat sich aber immer als sehr stark emanzipierte, eigenständig denkende Frau gezeigt. Das fand ich viel wichtiger.
Warum Körperhaare verschwinden sollen
Bei Frauen sollen die Haupthaare toll und natürlich aussehen, die Körperhaare aber verschwinden. Wie passt das zusammen?
Insbesondere der weibliche Körper ist das Schlachtfeld verschiedener Ideologien. Das Haupthaar hat immer schon sehr starke Kontrolle erfahren, das Körperhaar auch – in dem Moment, als es sichtbar wurde. Seit den 70er Jahren, seit es Minirock und Bikini gibt, rasiert man es weg. Die Aerobic-Bewegung und auch die Verbreitung von Pornografie haben verstärkt, dass nur noch rasierte Körper gezeigt werden, um möglichst viel zu sehen. Auch mit Jugendwahn hat es etwas zu tun. Inzwischen gerät auch der männliche Körper in den Fokus: Das Achselhaar muss ab, das Geschlechtshaar muss ab.
Gibt es Beispiele aus der Vergangenheit, bei der man eine Revolution erreichen konnte, durch so ein klein erscheinendes Mittel wie Haare abschneiden?
Mit Haaren allein kann man wahrscheinlich keine Revolution erreichen. Das geht nur, wenn die Haare, so wie es im Iran geschieht, verknüpft werden mit dem Recht auf Meinungsfreiheit, auf den freien Umgang mit dem Körper. Dazu braucht es auch die Männer, die ältere Generation und weite Teile der Gesellschaft, die alle hinter den Forderungen stehen.