Zeuge: Einsatzleitung war in der Ahr-Flutnacht überfordert

Die Flutkatastrophe hat - wie hier in Ahrbrück - 2021 enorme Schäden verursacht. Zu spät wurde die Bevölkerung gewarnt. Foto: Lukas Görlach

Im U-Ausschuss hat ein enger Vertrauter des Ex-Landrates des Kreises Ahrweiler ausgesagt. Er bestätigte, dass Pföhler in der Flutnacht kaum im Katastrophenstab anwesend war.

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MAINZ. Immer wieder macht Erich Seul Redepausen, man sieht ihm an, dass er nachdenkt. Die Worte in seinem Kopf zurechtlegt, umwirft, neu formuliert. Bloß nichts Falsches sagen, vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages, der seit Monaten die Geschehnisse rund um die Ahr-Flut aufarbeitet. Seul gilt als rechte Hand des früheren Landrates des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), gegen den seit der Flutkatastrophe die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. In der Nacht auf den 15. Juli hatten an der Ahr mehr als 130 Menschen in den Wassermassen ihr Leben verloren.

Landrat Pföhler steht seit der Katastrophe in der Kritik, sich am Tag des Unglücks aus seiner Verantwortung gestohlen zu haben. Sein Vertrauter Seul bestätigte nun, dass Pföhler am späten Nachmittag die Kreisverwaltung verlassen habe – und lediglich gegen 19 Uhr für einen Fototermin mit Innenminister Roger Lewentz (SPD) ins Haus zurückkehrte. Wo der politisch Verantwortliche für den Katastrophenschutz davor und danach war, „das entzieht sich meiner Kenntnis“, erklärte Seul.

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„Er wirkte ungewohnt fahrig“

In seinen 17 Telefonaten am Tag der Flut, das letzte um kurz nach Mitternacht, habe Pföhler von Stunde zu Stunde psychisch abgebaut. „Er wirkte ungewohnt fahrig“, fasste Seul zusammen. Normalerweise sei der Landrat bekannt dafür gewesen, in Krisen schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen. In der Flutnacht aber war das anders. „Ich habe den Landrat nicht wiedererkannt.“ Auf die Frage, ob sich Seul gewünscht hätte, dass der Landrat in den Stunden der Katastrophe in der Einsatzzentrale gewesen wäre, antwortete er – nach längerer Pause: „Ich habe für mich entschieden, in dieser Situation da zu bleiben. Welche Entscheidungen andere für sich treffen, das müssen sie vor sich selbst verantworten.“

Seul widersprach in seiner Vernehmung außerdem der Zeugenaussage von Cornelia Weigand (parteilos), inzwischen Nachfolgerin von Pföhler im Landratsamt. Weigand hatte ausgesagt, bereits um 16 Uhr Seul gebeten zu haben, dass der Kreis wegen der Pegelprognosen des Landes den Katastrophenfall ausrufen sollte. Als Antwort habe sie 20 Minuten später erhalten, dass man zunächst mehr Informationen brauche.

Seul gab vor dem U-Ausschuss allerdings eine andere Wahrnehmung des Telefonates wieder. „Es kann sein, dass das Wort Katastrophe gefallen ist, ich weiß es nicht mehr. Meiner Erinnerung nach aber war der Tenor, dass Frau Weigand gebeten hatte, dass der Kreis die Einsatzleitung übernehme.“ Diesen Wunsch habe er ihr bei dem zweiten Telefonat bestätigt.

Klarheit gibt es seit Freitag indes, wer am Tag des Unglücks im Katastrophenstab des Kreises Ahrweiler für die Position des Lagebildes zuständig war. Die sogenannte S2-Position. Wie ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) bei seiner Vernehmung bestätigte, war er es, der am Abend der Flut diese Position ehrenamtlich übernommen hatte.

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Um die Frage der S2-Position hatte es Anfang Juni einen Disput im U-Ausschuss gegeben. Bei den Vernehmungen der anderen Mitglieder des Katastrophenstabes hatten alle Zeugen gegenüber dem U-Ausschuss unisono angegeben, sich nicht mehr erinnern zu können, wer in den Stunden der Katastrophe die S2 innehatte. Der U-Ausschuss vermutete eine verbotene Absprache der Befragten. Auch der Vorwurf der Falschaussage stand im Raum.

Telefonnetz war ausgefallen

Der Zeuge vom THW erklärte nun allerdings: „Ich saß am Abend der Flutnacht auf dem Platz der S3-Position – und nicht auf dem S2-Platz. Vielleicht konnten sich deshalb die anderen rückblickend nicht mehr erinnern, wer welche Position genau besetzt hatte.“ Zumal sich am Abend der Flut die Ereignisse im Katastrophenstab überschlagen hätten. „Uns haben sehr spät konkrete Meldungen erreicht, was los ist. All unsere Versuche, Kontakt mit den Feuerwehren am Oberlauf aufzunehmen, sind gescheitert.“ Auch weil das Telefonnetz ausgefallen war. Erst nach 22 Uhr habe die Einsatzzentrale erstmals von tödlichen Vorfällen an der Ahr erfahren. Als die Flut bereits seit Stunden am Wüten war.

Wie der Zeuge weiter berichtete, wurde die Arbeit im Katastrophenstab dadurch erschwert, dass die Integrierte Leitstelle (ILS) in Koblenz Notrufe ab einem gewissen Zeitpunkt an sie weitergeleitet habe. Normalerweise ist die ILS die zentrale Stelle, bei der Notrufe aus der ganzen Region einlaufen. Am Tag der Ahr-Flut ging laut Protokollen der ILS die Zahl der Hilferufe in die Tausende, allen voran von der Ahr, sodass nicht mehr alle Telefonate bearbeitet werden konnten. Der Mitarbeiter des THW erklärte: „Die Leitstelle hat irgendwann unsere Nummer herausgegeben, wodurch dann bei uns Notrufe eingingen. Das ist normalerweise nicht so gedacht.“ Dies habe die sowieso schon angespannte Situation im Katastrophenstab zusätzlich belastet.