Die Huntington-Hilfe klärt in Hopfgarten über die unheilbare Krankheit auf.
HOPFGARTEN. Die in 2015 in Kanada gestartete Kampagne "LightItUp4HD - Beleuchtung für Huntington" wächst weltweit weiter. Seit 2017 beteiligt sich Deutschland mit ausgewählten Wahrzeichen, um die Öffentlichkeit für die seltene Erbkrankheit zu sensibilisieren. Auf Initiative des Bochumers Marc Leonhard übernahm die Kirchengemeinde Hopfgarten/Hergersdorf/Vadenrod das Finale. Noch bis zur Wochenmitte erstrahlt die Gemeindekirche oberhalb Hopfgartens in den Farben Blau und Lila.
Was aber verbirgt sich hinter der unheilbaren Krankheit? Wie bestimmt sie das Leben einer betroffenen Familie? Im Pfingstgottesdienst mit anschließendem Kirchcafé stellten die Vorsitzende der Deutschen Huntington-Hilfe Michaela Winkelmann und Leonhards Familie die neurodegenerative Erberkrankung näher vor.
Chorea Huntington ist eine erbliche Erkrankung des Gehirns, bei der durch eine Genveränderung in bestimmten Hirnbereichen Nervenzellen absterben. Die äußeren Krankheitserscheinungen umfassen Störungen des Gefühlslebens, der Muskelsteuerung einschließlich der Mimik und schließlich der Hirnfunktion insgesamt (im Endstadium Demenz). Die Krankheit nimmt einen immer schwereren Verlauf. Dabei sind die Betroffenen und deren Angehörige enormen psychischen, physischen, aber auch finanziellen und existenziellen Belastungen ausgesetzt, erläuterten die Gäste.
Krankheitsverlauf
Michaela Winkelmann ist seit etwa 25 Jahren mit der Krankheit in Berührung. Aufgewachsen in Merzhausen im Schwalm-Eder-Kreis, entstammt sie einer Huntington-Familie und erlebte bei ihrem Vater den gravierenden Krankheitsverlauf mit all seinen Begleiterscheinungen. Zuvor litt ihr Großvater an der Erkrankung, heute seien ein Onkel und Cousin davon betroffen. "Keine schönen Wahrnehmungen und Aussichten für ein junges Kinder- oder Teenagerleben", sagt die Vorsitzende. Mit der Diagnosestellung wurde das Familienleben von Null auf Hundert komplett umgekrempelt. Früher wurden schwere Erkrankungen noch verschwiegen, der Betroffene im heimischen Kämmerlein gehalten, um der gesellschaftlichen Ausgrenzung ein Stück weit zu entgehen. Gleichzeitig aber bestimmten viele Ängste den Alltag und auch das soziale Umfeld hatte sich kurzerhand verändert - man fühlte sich irgendwie alleine mit allen Sorgen, Ängsten und Nöten.
Alleine fühlte sich ebenso das Kind Michaela. "Viele Jahre meiner Kindheit habe ich nicht über die Krankheit meines Vaters gesprochen", blickte die heute in der Huntington-Hilfe engagierte Frau zurück in jene Zeiten, in der sie sich die familiäre Normalität gewünscht hatte, wie sie es von ihren Schulkameraden oder Freunden kannte. Durch die Krankheit legte ihr Vater ein absonderliches Verhalten an den Tag und wurde sehr aggressiv. Da Winkelmanns Mutter die schwere Pflege übernahm, wollte die Tochter sie nicht noch zusätzlich belasten und bewahrte ihre Gedanken und Empfindungen für sich. Und auch im näheren Umfeld von Freunden und Bekannten traute sich das Mädchen nicht, etwas zu sagen. Offen blieb die Frage: "Wem kann ich mich anvertrauen? Wer steht mir zur Seite?".
Nach dem Abitur trat Winkelmann die Flucht nach vorne an. Sie zog von der Schwalm in die Großstadt und wagte den Start in ein neues Leben. Natürlich konnte sie ihre Ängste und Erlebnisse nicht ganz ausblenden, aber sie fand durch die Distanz einen anderen Zugang zur Verarbeitung und Bewältigung der Sorge, ob auch sie die Erkrankung in sich trage. Erst mit 35 Jahren machte sie einen Gentest. "Negativ" zeigte das Ergebnis. Dies wiederum gab ihr den Schub, fortan in die Öffentlichkeit zu gehen und sich starkzumachen für Betroffene und Familien mit der Diagnose "Chorea Huntington". "Angst und Selbstschutz ist unter Betroffenen ein großes Thema. Aber es darf nicht heißen' Huntington hat mich in seiner Gewalt, sondern ich habe Huntington", zog die Vorsitzende ihre Schlüsse.
Das Schicksal von Marc Leonhards Frau Heike ging ebenso wenig spurlos vorüber. Zu Beginn der Erkrankung fühlte sie sich ausgelaugt, müde und depressiv. Sie machte eine Reha und dachte, es ginge wieder bergauf. Später kamen neue Symptome wie Unruhe und Konzentrationsschwäche hinzu, die Ärzte aber konnten nichts "Ernsthaftes" finden. Sie solle sich zusammenreißen, wurde die Hilfesuchende des Öfteren abgekanzelt. Es kamen Gangunsicherheiten, Stolpern und Stürze hinzu, eine Odyssee zu Fachärzten ohne greifbare Ergebnisse. Acht Jahre nach den ersten Ausfallerscheinungen brachte ein Gentest die Diagnose "Huntington Krankheit" zum Vorschein.
Für die Betroffene war es damals ein Schock und Befreiung zugleich. Endlich hatte sie ein Ergebnis, die Sicherheit und den Namen des Gegners. Gleichzeitig kam die Angst um die beiden Töchter und zwei Enkel. Parallel dazu begann die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod.
Schicksalsschlag
Trotz aller Schwere und einem Schicksalsschlag scheint dem Paar die Lebensfreude geradezu aus den Augen zu strahlen. "Wir setzen unsere Schwerpunkte im Leben anders und haben Gott sei dank das Glück, eine tolle Familie, Freunde und Arbeitgeber zu haben, die uns in allen Belangen unterstützen", beschrieben die Eheleute ihre Situation. Verkriechen gehe gar nicht. Was sie machen wollen, werde auch gemacht, schob Marc Leonhard eine wichtige Lebensphilosophie nach, die ihnen die Kraft gebe, nach vorne zu blicken. Die Familie wuchs durch die Erkrankung noch enger zusammen und verbringe die gemeinsame Zeit viel intensiver. "Jeder Moment ist ein gelebter Augenblick". Dritte im Bunde waren Leonhards Schwester Catherine und ihr Freund Jens Schmidt aus Hergersdorf. Gerne kümmerte sich das Schwalmtaler Paar um die Kontakte und Vorbereitungen zur Beleuchtungsaktion. Rundum begeistert waren sie vom Engagement der Kirchengemeinde.
Die Diagnose ihrer Schwägerin aber mache sie sehr betroffen. Es sei schwierig, dem Verlauf der Krankheit hilflos gegenüber zu stehen. Umso mehr bewundere sie ihre Verwandten für ihre Power und Selbstverständnisse wie "klar wird Heikes runder Geburtstag gefeiert" oder "und wir fahren da hin". "Heike, Marc und die Töchter versuchen, die Normalität so gut wie möglich zu leben", ließ Catherine Leonhard ihren Gefühlen freien Lauf.
"Niemand sollte sich mit seiner Krankheit alleingelassen fühlen, ganz egal, welches Schicksal ihn auch ereilt", so ein Wunsch aller Anwesenden. Im Falle von Chorea Huntington können sich Interessierte auf der Homepage www.dhh-ev.de weitere Informationen einholen.