Rolf Schamberger bei seinem Vortrag vor einem Bild der Ruine der am 10. November 1938 in Brand gesteckten Lauterbacher Synagoge. Foto: Eigner
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LAUTERBACH - (eig). Rund 400 Menschen wurden während der antijüdischen Pogrome im Deutschen Reich zwischen dem 7. und dem 13. November 1938 ermordet, mehr als 1400 Synagogen und Bethäuser zerstört und zum großen Teil in Brand gesteckt. Doch wo war während dieser Tage des vom NS-Staat gelenkten Gewaltexzesses die Organisation, deren Aufgabe es eigentlich war, Brände zu bekämpfen – die Feuerwehr? Mit diesem Thema und mit der Geschichte der deutschen Feuerwehren im Nationalsozialismus insgesamt hat sich Rolf Schamberger seit vielen Jahren auseinandergesetzt. Der Lauterbacher ist seit 22 Jahren Leiter des Deutschen Feuerwehr-Museums in Fulda und stellvertretender Vorsitzender der Kommission für Brandschutz- und Feuerwehrgeschichte im Weltfeuerwehrverband CTIF.
„Ich möchte nicht verurteilen, aber erklären, wie es eigentlich zu diesen Exzessen und der Entmenschlichung durch weite Bevölkerungsteile im November 1938 kommen konnte“, erklärte der Referent zu Beginn seines eindrucksvollen Vortrages im Hohhaus-Museum in Lauterbach. Er ging zunächst auf den Ablauf der Novemberpogrome 1938 ein. Ein Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris war der Vorwand, unter dem am Abend des 7. November 1938 zunächst in Nordhessen als „Testlauf“ die ersten Synagogen brannten. Für den 9. November 1938 waren bereits seit Wochen große Nazi-Kundgebungen geplant, weil es der 15. Jahrestag des gescheiterten Hitler-Putsches war. Im Anschluss daran zogen die beteiligten SA-Männer die Uniformen aus, um als Teil eines angeblich „spontanen Volkszorns“ Synagogen zu demolieren und anzuzünden. „Das klappte meistens nicht im ersten Anlauf, so wie es sich die Nazis vorgestellt hatten“, so Rolf Schamberger. In den meistens aus Stein gebauten Synagogen seien die Brände in der Regel nach kurzer Zeit erloschen, so auch beim Überfall auf die Synagoge in Fulda. So habe man in vielen Fällen Feuerwehrleute als „Experten“ hinzugeholt, um die Synagogen vom Dachstuhl her abbrennen zu lassen und Brandbeschleuniger zu besorgen. Löschversuche waren offiziell verboten. Widerstand habe es nur in wenigen Fällen gegeben, so im Fall der schon damals unter Denkmalschutz stehenden Synagoge in der Oranienburger Straße. Hier stellte sich ein Polizeibeamter mit einigen Kollegen dem SA-Mob in den Weg. „Leider hat sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Feuerwehrleute daran beteiligt“, erinnerte der Referent und räumte ein: „Als zweifacher Familienvater weiß ich nicht, ob ich unter den damaligen Umständen die Courage gehabt hätte, mich mit dem NS-Regime anzulegen.“
Der Zerstörung jüdischer Gotteshäuser ging seit 1933 auch die Ausgrenzung von jüdischen Kameraden aus den Feuerwehren voraus. 1932 hätten die Feuerwehren in Deutschland rund zwei Millionen Mitglieder gehabt, und davon waren entsprechend dem Bevölkerungsanteil mindestens 15000 jüdischen Glaubens. Er zeichnete die Stationen der Ausgrenzung jüdischer Feuerwehrleute nach. Den eigentlichen Zivilisationsbruch hin zum späteren Nationalsozialismus habe bereits der Erste Weltkrieg in Gang gesetzt und zur Abstumpfung und Entmenschlichung geführt. Die Legende vom angeblichen „Dolchstoß“ durch einen „jüdischen Bolschewismus“ sei bewusst in Umlauf gebracht worden, um von der Verantwortung der deutschen Generalität für die Niederlage von 1918 abzulenken. Es habe sich bei Teilen der Bevölkerung ein „innerlicher Hass“ auf die Juden entwickelt.
Anhand von Einzelschicksalen legte er dar, was nach der „Machtergreifung“ der Nazis 1933 geschah. Hierzu gehörte Jakob Sichel aus Würzburg, der bis zu seinem Ausschluss im Jahr 1934 Sanitäter bei der Feuerwehr Würzburg war und 1943 im KZ Theresienstadt starb. Mit Auszügen aus den erhaltenen Akten der Gestapo zeigte Rolf Schamberger, wie Jakob Sichel nach dem Pogrom von 1938 behandelt wurde und das geltende Recht aufs Massivste gebeugt wurde. „Stellen Sie sich vor, Sie werden bedroht und beklaut und entschuldigen sich am Ende noch dafür, dass Sie eine Anzeige erstattet haben. Das ist das wahre Gesicht des Dritten Reiches.“ Zum Schluss zeigte er den „Laufzettel“, der bei der Deportation von Jakob Sichel im März 1942 ausgefüllt wurde. „Das ist die totale Abwicklung eines Menschen“, so der Referent. Auf die gleiche Weise sei es auch den jüdischen Bürgern Lauterbachs ergangen.
Im Kontrast zur damaligen Rolle der Feuerwehren hob er die Integrationsarbeit in der Gegenwart hervor. „Lassen Sie uns wachsam bleiben!“ Es gibt keinen Raum für rechtes Gedankengut in Deutschland!“, mahnte er zum Abschluss.