Buntes Friedenfest und Verhüllungs-Performance des SI-Clubs am Berliner Platz in Lauterbach.
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LAUTERBACH - Die Sonne strahlte am Samstag vom Himmel und rückte das neue Kleid des Lauterbacher Löwen ins perfekte Licht. Hatte er am Morgen noch gewohnt unnahbar, heroisch und furchteinflößend - als "Kriegsheld" - auf seinem steinernen Sockel gesessen, verlor sich diese Haltung schon im Verlaufe der folgenden Stunden. Fröhlich, freundlich, friedlich blickte er ob seiner neuen Rolle als Friedensbotschafter drein, als er sein neues, rotes Gewand nicht nur anprobieren, sondern endlich auch anbehalten durfte. Eines, an dem über Wochen über 300 Menschen im In- und Ausland mitgewirkt und rund 46 Kilogramm schönster Wolle in verschiedenen Rottönen verarbeitet hatten. Mit Friedensbotschaften versehen und teilweise mit besonders flauschigem Garn, um seine Mähne besonders zu betonen...
Mehrere hundert Menschen hatte es am Samstag zur Eröffnung des vom Club Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg initiierten Friedensfestes auf den Berliner Platz in Lauterbach gezogen, um live die "Verhüllung" zu verfolgen, die sich eigentlich bis in die Nachmittagsstunden des Sonntags ziehen sollte, die aber bereits am Abend kurz vor der Vollendung stand. Während die Besucher gemütlich auf den Bänken verweilen und dabei auch ansprechender Musik lauschen konnten, hatten die SI-Frauen alle Hände voll zu tun, am Kleid des Löwen vor den Augen der Öffentlichkeit letzte Hand anzulegen. Viele Meter Garn wurden vor Ort noch von ihnen vernäht, bis alle Wollstücke richtig saßen. Unterstützt wurden sie von Fachmann Karl-Heinz Ludwig, der schon im Vorfeld der Performance viele Stunden Näharbeit ins Projekt investiert hatte. Bei ihm liefen im wahrsten Wortsinne bis zum Schluss viele Fäden zusammen. Auch sich lösende Woll-Elemente brachten ihn hoch oben auf dem Gerüst nicht aus der Ruhe. "Das wird", beruhigte er Projektleiterin Ute Kirst, die diesem Moment seit Wochen entgegengefiebert hatte. Und zusammen schaffte es das Team, auch die kniffligsten und nur schwer zu erreichenden Stellen des Löwen zum "umgarnen".
"Nie wieder Krieg" - diese Botschaft prangte beim Friedensfest über allem Geschehen am Berliner Platz, exponiert und unübersehbar am Balkon des altehrwürdigen Hohhaus-Palais, in und um dessen Mauern in dunkleren Zeiten deutscher Geschichte auch andere Botschaften ans Volk gerichtet worden waren.
Die Botschaft der Veranstaltungs-Reihe des Club Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg prangt am Hohhaus.
(Foto: Kempf)
Den Löwen, geschaffen als Sinnbild des Krieges und des Sieges über den "Erbfeind Frankreich", in ein Mahnmal für den Frieden "umzustricken", war bei der Eröffnung des Festes von allen Rednern unisono begrüßt worden. "Der ungezähmte Löwe ist ein Bild der Angst, gut, dass er verhüllt wird", betonte der katholische Pfarrer Heinrich Schäfer in einer ökumenischen Andacht, die er zusammen mit seiner evangelischen Kollegin Karin Klaffehn hielt und die musikalisch von Kantorin Claudia Regel am Piano umrahmt wurde. Er erinnerte an die Geschichte von Jona, der "von Gott im Walbauch weichgekocht" vom Kriegs- zum Friedensbotschafter wird. Karin Klaffehn rückte das Symbol der Friedensbewegung der 80er Jahre in den Fokus: "Schwerter zu Pflugscharen, ein Gerät, das Leben zerstört, wird zu einem, das Leben ermöglicht." In Lauterbach wandle sich der Kriegs-Löwe zum Botschafter des Friedens, der "König der Tiere" trage den Friedensmantel.
Gedanken zu Krieg und Frieden hatte sich auch die Dekanatsjugend gemacht, die Denkanstöße in Wort und Tanz bot.
Lauterbachs Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller erinnerte daran, dass das Löwen-Denkmal vor genau 111 Jahren mit einem dreitägigen Fest zu Ehren der Kriegshelden des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 eingeweiht worden war. Gefolgt seien zwei weitere schreckliche Kriege, in denen sich auch wieder Deutsche und Franzosen gegenüber standen. Heute bildeten beide Länder eine starke Allianz für ein friedliches, starkes Europa. "Frieden ist fragil, das haben die Balkan-Kriege in den 90er Jahren gezeigt", erinnerte Vollmöller. Er lobte das Engagement Ute Kirsts und des Clubs als wichtiges Zeichen an einem Tag, an dem rundherum auf der Welt unzählige Kriege tobten. "Möge es gelingen, die Wahrnehmung des Löwen dauerhaft zu ändern", wünschte sich der Rathauschef und gab den Zuhörern als Botschaft mit auf den Weg: "Äußerer Friede setzt inneren Frieden voraus. Friede beginnt bei jedem einzelnen, in der Nachbarschaft, in der Stadt..."
Sehr bewegt vom Friedensprojekt ihrer Club-Schwestern zeigte sich Gabriele Zorn, die Präsidentin von SI Deutschland, die den Blick "über den Tellerrand hinaus" lobte. "Mit dem Friedensfest bekennen wir Flagge", sagte sie und erinnerte daran, dass sich SI weltweit für Frauen und Kinder engagiere.
"Brauchen wir die Verhüllungs-Performance, um Menschen zu berühren?", fragte Kreisbeigeordnete Stephanie Kötschau und befand: "Ja." Denn auch in heutiger Zeit, in der öffentlich menschenverachtende Parolen skandiert würden und die NS-Zeit als "Vogelschiss in der Geschichte" verharmlost werde, sei die Demokratie gefährdet. Die SI-Frauen lobte sie als mutige Frauen, die die Verständigung und den Frieden zu ihrer Sache machten. "Wer Demokratie bewahren will, muss sich öffentlich für Frieden und Toleranz einsetzen."
SI-Präsidentin Susanne Bolduan dankte den vielen Helfern und Unterstützern des Projekts, dem ein Jahr Planungszeit durch Initiatorin Ute Kirst vorausgegangen war. Zudem erinnerte sie an die bereits stattgefundenen Veranstaltungen der "Nie-wieder-Krieg"-Reihe, die schon viele Menschen erreicht und berührt hätten, und kündigte weitere an.
"Total froh", dass nach ungezählten Stunden Arbeit ihr Herzensprojekt jetzt seinen Höhepunkt feiern konnte und am Ende alles geklappt hat, zeigte sich Ute Kirst. Der Club setze mit der Aktion ein Zeichen in Zeiten, in denen zwar Deutschland im Frieden lebe, aber weltweit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht seien und über 30 kriegerische Auseinandersetzungen tobten. Einigen Menschen hatte sie zu danken - insbesondere für die Hilfe in der Endphase Karl-Heinz Ludwig und Annette Schulz für deren handarbeitlichen Fähigkeiten, aber auch Norbert Ludwig, der das Kunstwerk in den kommenden Wochen ins rechte Licht rücken wird.
Als Botschafter des Friedens steht nun der Lauterbacher Löwe ganz in Rot auf dem Berliner Platz. Vier Wochen lang setzt er ein sichtbares Zeichen. Mit hoffentlich großer Nachhaltigkeit...