In die Falle einer Wildkamera ist ein mutmaßlicher Gutachter gegangen, der für die Umweltverträglichkeitsprüfung für den Bau von Windkraftanlagen verantwortlich sein soll.
Von Christian Dickel
Der Unbekannte streift den Baum mit einem Stock ab. An der gelben Kennzeichung ist er eindeutig als Habitatbaum zu erkennen. Das Vorgehen hat eine Wildkamera eingefangen. Screenshot: Dickel
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VOGELSBERGKREIS/SCHWALMTAL - In die Falle einer Wildkamera ist ein mutmaßlicher Gutachter gegangen, der für die Umweltverträglichkeitsprüfung für den Bau von Windkraftanlagen am Bastwald unweit der Mülldeponie in Schwalmtal verantwortlich sein soll. Auf mehreren Videos, die unserer Redaktion mit weiterem Material zugespielt wurden, ist zu sehen, wie ein Mann mit einem Stock einen Habitatbaum im Windvorranggebiet am Bastwald abstreift. Dabei handelt es sich um eine illegale Vergrämungsmaßnahme, um den Bau von Windkraftanlagen in diesem Gebiet umzusetzen, und damit um einen Straftatbestand. Das berichtet die Naturschutzinitiative, die laut eigener Aussage das Videomaterial ebenfalls von einem anonymen Absender bereits im Mai erhalten hat. Die Naturschützer behaupten, dass der Mann durch das anonyme Videomaterial sowie Aufnahmen seines Dienstfahrzeugs eindeutig als Gutachter zu identifizieren sei und nennt sogar seinen Namen.
"Wir waren sehr schockiert, als wir das anonyme Video bekommen haben. Aus Datenschutzgründen haben wir es nicht veröffentlicht", sagt der Vorsitzende der Naturschutzinitiative Harry Neumann. Und weiter: "Auf dem Video ist ein ungeheurer Vorgang zu sehen. Wir haben herausgefunden, dass es ein Mitarbeiter der beauftragten Gutachterfirma ist. Es handelt sich um einen erheblichen Verstoß gegen das Naturschutzgesetz und es ist fachlich unverantwortlich, so etwas zu machen."
Der Vogelschutzbeauftragte des Vogelsbergkreises, Förster Axel Rockel, erläutert, was das sogenannte Abklopfen der Bäume bewirkt. Dadurch entstehe ein Kratzgeräusch, das einen Nesträuber wie etwa einen Waschbär simuliert. Das habe zur Folge, dass insbesondere in der Brutzeit Raubvögel ihre Horste fluchtartig verlassen würden. "Das kann zur Brutaufgabe führen oder das Nest kann auskühlen", sagt Rockel. Und weiter: "Jede Störung ist zu vermeiden. Da ist das Naturschutzgesetz ziemlich eindeutig." Das wisse jeder, der naturschutzfachlich ausgebildet sei. "Es gehört zum beruflichen Ehrenkodex, dass man so etwas nicht macht", führt Rockel aus. Wenn ein neugieriger Laie einen Horst entdecke und in gleicher Art und Weise handeln würde, um nachzusehen, welcher Vogel im Nest sitzt, würde er ihm keinen Vorwurf machen. "Ob es Vorsatz war oder grob fahrlässig gehandelt wurde, darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben", ergänzt Rockel. Förster würden während der Brutzeit sogar einige Hundert Meter Abstand zu den Brutbäumen halten. "Wenn ich als Naturschützer eine Horst-Kontrolle mache, geschieht das aus großer Distanz mit dem Fernglas", erklärt Rockel.
Neumann argumentiert im Gegensatz zum Förster deutlich offensiver. Die Vermutung liege nahe, dass durch die Aktion - ganz gleich ob Schwarzstorch, Rotmilan oder Bussard - die Vögel aus dem Windvorranggebiet vertrieben werden sollten. "Der Bau der Industrieanlagen wird mit kriminellen Mitteln herbeigeführt. Leider vermissen wir die Unterstützung der Behörden. Wenn wir den Behörden Daten geben, werden sie umgehend an Gutachter und Projektierer weitergeleitet. Das sind keine Zufälle mehr", sagt Neumann. Jeder könne von Windkraft halten, was er wolle, aber es müsse mit rechten Dingen zugehen. Die Methodik sei vergleichbar mit dem Dieselskandal. Er verliere langsam seinen Glauben an den Rechtsstaat. Allerdings wolle die Naturschutzinitiative im vorliegenden Fall voraussichtlich nicht den Klageweg beschreiten.
Der Geschäftsführer der beschuldigten Gutachterfirma weist die Vorwürfe von sich. "Bei der Erhebung im Feld gehen wir sach- und fachgerecht, in Absprache mit der Behörde vor", entgegnet er auf Anfrage unserer Zeitung. Er könne gar keine weitere Stellungnahme abgeben, weil er das genannte Videomaterial nicht kenne. Beim Auftraggeber des Gutachtens, der zur Ovag gehörenden Firma Hessenenergie, die am Bastwald Windkraftanlagen errichten möchte, wollte sich niemand zu den Vorwürfen äußern. Der geschilderte Sachverhalt sei ihnen völlig unbekannt. Man könne sich aber nicht vorstellen, dass ein Gutachter rechtswidrig handele.
Die Naturschutzinitiative nimmt das Videomaterial zum Anlass, um auf die nähere Umgebung hinzuweisen. Die Firma WPD plane in unmittelbarer Nähe weitere Windkraftanlagen und habe dazu eine andere Gutachterfirma beauftragt. Weil sich die Untersuchungsradien beider Gutachterbüros überschneiden würden, könnten sich die Gutachter nicht mehr auf ihre Erfassungen bezüglich besetzter und unbesetzter Horste stützen. Die Naturschutzinitiative gehe davon aus, dass das Bäumeabklopfen im gesamten Untersuchungsradius praktiziert worden sei. Das würde die im Jahr 2018 hohe Anzahl an unbesetzten Horsten erklären.
Abschließend greift Neumann eine aktuelle Entwicklung beim in der Nähe gelegenen Windpark Homberg II auf. "Ich kündige an, dass das Regierungspräsidium Gießen drei Horstbäume mit Ausnahmegenehmigung fällen lassen will, um Homberg II möglich zu machen", erklärt Neumann. Dort solle ein Präzedenzfall geschaffen werden. "Das halten wir für rechtswidrig. Wenn das geschieht, werden wir klagen."