Stolpersteine: Künstler Gunter Demnig findet im...

Gunter und Katja Demnig. Foto: Kaminski
© Kaminski

Seit dem vergangenen Jahr wohnen Gunter und Katja Demnig im Vogelsbergkreis. Demnig stammt aus Nauen bei Berlin und lebte bisher in Frechen bei Köln. Er gestaltet mit seinen...

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VOGELSBERGKREIS. Seit dem vergangenen Jahr wohnen Gunter und Katja Demnig im Vogelsbergkreis. Demnig stammt aus Nauen bei Berlin und lebte bisher in Frechen bei Köln. Er gestaltet mit seinen in 21 Ländern verlegten "Stolpersteinen" das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Auch in Schotten verlegte der Künstler bereits Stolpersteine. Für Einartshausen gibt es Pläne, und in Rainrod denkt man dem Vernehmen nach auch über Stolpersteine nach.

"Hier wohnte...", beginnt beispielsweise der Text eines solchen Messingsteins, der in den Gehweg vor einem Wohnhaus eingebracht wird, in dem während des Nazi-Regimes eine jüdische Familie wohnte. Es folgen Name und Geburtsdatum der Person und schließlich ein Hinweis auf das, was den Menschen angetan wurde: Deportation, Flucht oder Ermordung. Auf diese Weise will der Künstler den Millionen Menschen, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückgeben. Gleichzeitig soll durch die Verlegung der Steine mitten in der Stadt, dort, wo die NS-Opfer gelebt haben oder von wo aus Transporte nach Auschwitz, Buchenwald oder in andere Konzentrationslager stattfanden, die Schutzbehauptung infrage gestellt werden, "man habe nichts gewusst".

"Der Grundgedanke war von Anfang an, überall dort, wo die Gestapo, die SS oder die Wehrmacht ihr Unwesen getrieben haben, den Opfern zu gedenken, nicht nur Juden, sondern allen Opfern in ganz Europa", sagt der 70-Jährige, der sich in Elbenrod niedergelassen hat. Auf die Idee, der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus die Form der Stolpersteine zu geben, habe ihn eine ältere Dame in Köln gebracht. 1990 sollte hier offiziell der Deportation von 1000 Sinti und Roma im Mai 1940 gedacht werden. Um die Wege der Verhafteten von ihren Wohnungen zur Messe in Deutz auf der Straße nachzuvollziehen, zog Gunter Demnig mit einem Markierwagen, wie man ihn vom Fußballplatz her kennt, die Spuren nach. Schon damals war er an nachhaltiger Wirkung seiner Aktion interessiert und benutzte "beste Fassadenfarbe" und nicht leicht wasserlösliche Kreide. Bei der Spurenziehung wurde er von besagter Dame angesprochen, die meinte, die Aktion sei ja schön und gut, aber dort im Viertel habe es nie Sinti und Roma gegeben. "Vermutlich hat sie es wirklich nicht besser gewusst," sagt Gunter Demnig. Das sei jedenfalls das "auslösende Moment" gewesen, für geeignete Mittel zu sorgen, die Erinnerung wach zu halten. Da seine Freunde und er davon ausgingen, dass die meisten Hausbesitzer eine Gedenktafel an ihrem Gebäude nicht zulassen würden, kamen sie auf die Idee, die Erinnerung in den öffentlichen Raum davor zu verlegen. Der erste "Stolperstein" wurde am 16. Dezember 1992, dem 50. Jahrestag des Befehls Heinrich Himmlers zur Deportation der Sinti und Roma vor dem historischen Kölner Rathaus verlegt. Auf ihm sind die Anfangszeilen des Erlasses zu lesen. 2010 wurde der Stolperstein von Unbekannten gestohlen, im März setzte Demnig ein neues Exemplar ein. "Vandalismus gab es von Anfang an", berichtet der Künstler mit erstaunlicher Gelassenheit. Immerhin hat er in den mehr als zwanzig Jahren seines Schaffens, in denen er weit mehr als 60 000 Stolpersteine verlegt hat, bereits dreimal Morddrohungen erhalten. Er vertraut auf die Gegenbewegung, die solche Zerstörungen regelmäßig hervorruft. So seien in Greifswald zum 9. November, der von den Nazis als "Reichskristallnacht" gefeierten Pogrome, Gedenksteine zerstört worden. "Zwei Tage später kam bereits eine E-Mail mit der Frage, ob 1000 Euro reichten, um die Steine wieder zu verlegen. Am Ende konnten wir durch die Gegenbewegung insgesamt 36 Stolpersteine in der Stadt einbauen", sagt Demnig. Dabei betont er, dass das Beispiel keineswegs einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland zeige. Er erwähnt ausdrücklich den Darmstädter Raum als Problemzone für seine Arbeit in Westdeutschland. Hier habe erstmals sogar der Staatsschutz ermittelt, "aber dabei ist nichts herausgekommen".

Bei den Aktionen selbst fühlt er sich durch die Gruppen und Initiativen, die ihn eingeladen haben, gut geschützt. Erst einmal sei es zu einer größeren Auseinandersetzung gekommen. In Delitzsch bei Dresden habe eine Gruppe von Neo-Nazis versucht, die Steinverlegung zu behindern. Sie forderten stattdessen mehr Engagement für das Andenken an die Heldentaten deutscher Soldaten. "Ich habe ihnen gesagt, dass sie jederzeit eine solche Initiative gründen könnten und sie an den neben mir stehenden Bürgermeister verwiesen. Mein Auftrag wäre es, Gedenksteine für Nazi-Opfer zu verlegen. Damit habe ich dann weitergemacht", schildert Demnig die Situation. Seine Frau macht darauf aufmerksam, dass die Anfragen für die Verlegung von Stolpersteinen aus Thüringen und Sachsen in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen seien.

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Solche Signale sind für das Künstlerpaar Ansporn, sich weiter und unvermindert gegen das Vergessen der Nazi-Gräueltaten zu engagieren. Der Terminkalender ist prall gefüllt. Katja Demnig, die das Büro führt und ihren Mann bisher eher selten auf seinen Touren durch ganz Europa begleitet, will in Zukunft auch die praktische Pflasterarbeit mit übernehmen. Außerdem hat das Paar bereits einige Kooperationen, beispielsweise mit einer Berufsschulklasse in Bielefeld, aufgebaut, die das Verlegen der Gedenksteine vor Ort übernehmen.

Gemütliche Stunden im neuen Heim in Elbenrod sind so nur wenige in Sicht. Dennoch wollen sie das Landleben genießen, soweit es die Zeit zulässt. In einem ehemaligen Schreinerbetrieb am Ufer der Berfa soll das neue Zuhause entstehen. Im vorigen Oktober ist das Paar bereits eingezogen, aber die Umbauten an Scheune und ehemaliger Schreinerwerkstatt sind noch in vollem Gang. Hier soll ein kleines Museum entstehen, in dem Gunter Demnig die Kunstwerke ausstellen will, die er neben den Aktionen im Zusammenhang mit den Stolpersteinverlegungen geschaffen hat. Diese sind momentan in einer Halle in Frechen bei Köln eingelagert. "Der Platzmangel dort war ein Grund, warum wir nach Elbenrod gekommen sind", sagt er. Hier stimmte das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vergleich zu den anderen in Betracht gezogenen Domizilen. Außerdem werden viele Wege kürzer werden, denn Alsfeld liegt bekanntlich ungefähr in der Mitte Europas.

Die auf den umliegenden Hügeln für Aufsehen sorgenden Windkraftanlagen stören Katja und Gunter Demnig nicht. Das Gegenteil ist der Fall: "Wir sind für die Energiewende und den Ausbau aller Erneuerbaren Energien, nicht nur der Windkraft. Die Alternative sind Atomkraftwerke und da waren wir schon immer dagegen", bekräftigen beide. Und Katja Demnig ergänzt voller Überzeugung: "Wir wohnen jetzt da, wo andere Urlaub machen."