Ein besonderer Prädikant im Vogelsberg

Sie schenken sich Kraft, teilen ihre Spiritualität und sind sich nah: Marion und Holger Kötz mit ihrem Enkel Tom. © Traudi Schlitt

Mit Holger Kötz hat evangelische Kirche im Vogelsberg einen leidenschaftlichen Prädikanten an Bord, der nicht dem Prototyp eines Predigers entspricht.

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VOGELSBERGKREIS. "Der Prädikant ist ein ehrenamtlicher evangelischer Prediger und wird auch als Laienprediger, Ältestenprediger, Hilfsprediger oder Predigthelfer bezeichnet. Er hat eine spezielle theologische Unterrichtung durchlaufen." So heißt es im Internet-Lexikon Wikipedia. Wer sich dann einen ernsten älteren Herrn im unauffälligen Anzug mit einer großen Bibel in der Hand vorstellt, der vor dem Altar steht und mit heiliger Miene auf die Gottesdienstbesucher blickt, kennt Holger Kötz nicht. Wenn der Prädikant in den Kirchen und Gemeindehäusern des Evangelischen Dekanats Vogelsberg erscheint, dort wo sich alle kennen und in freudiger Erwartung ihres Laienpredigers in den Kirchenbänken Platz genommen haben, kann es schon mal passieren, dass ein Raunen durch die Reihen geht, berichtet das Dekanat in einer Pressenotiz.

",Was will denn der Tätowierte hier?' ist ein Spruch, den ich durchaus öfter höre, wenn ich irgendwo zum ersten Mal bin", lacht der 55-Jährige, der mit seinen bisher 13 Tattoos, seinem Glatzkopf und seinem legeren Auftreten auch gut zu einer Motorradgang oder anderen Freigeistern gehören könnte. Doch was er will, ist das Wort Gottes zu verkündigen.

Und das macht er auf ganz eigene Art und Weise, begeistert und guter Dinge, stets bestens gelaunt durch die Gegenwart Gottes, wie er sagt. Holger Kötz schreibt Geschichten, mit denen er die Inhalte der Bibel in die heutige Zeit bringen möchte. Mit der Hand trägt er sie in große Schreibbücher ein. 250 davon hat er schon gefüllt; in jedes passen etwa drei bis vier Gottesdienste hinein. "Ich schreibe die Dinge so, wie ich sie im Herzen habe, so wie Gott sie mir eingibt." Und diese Geschichten erzählt er so, wie er jede andere Geschichte auch erzählen würde, authentisch und zugewandt. "Ich hole die biblischen Geschichten vom Sockel", beschreibt der Prädikant seine Auffassung von Verkündigung. So komme es, dass Fünfjährige ihn genauso gut verstehen wie Hundertjährige. Wer ihn einmal in der Gemeinde hatte, der wolle ihn wieder haben, heißt es in der Pressenotiz.

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Auch schamanische Ausbildung

Prädikant ist er seit 2010, seit 2021 hat er auch die Befähigung für Kasualien: Er darf taufen, trauen und bestatten. Wenn er sich dann einmal anders zeigen möchte als nur in Jeans und T-Shirt, dann legt er auch schon mal seine afrikanische Stola um - ein kleiner Hinweis auf den zweiten Teil seiner Persönlichkeit, denn Holger Kötz ist nicht nur Prädikant, sondern hat auch eine schamanische Ausbildung. Sein schamanischer Name ist Buyuta - eine Kombination aus zwei Namen seiner Hunde, die bereits tot sind. Mit ihnen und anderen Tieren könne er auf seinen schamanischen Reisen kommunizieren, wie er sagt; hier könne er seine Seele aus dem Körper schicken, zu fernen Menschen und an unbekannte Orte.

Als unvereinbar mit dem Glauben an Gott sieht Kötz dies nicht: "Gott und Manitou sind ein- und derselbe", sagt er, "und hier wie da geht es ums Geben und Nehmen und um Achtung und Respekt vor der Schöpfung." Und vor den Menschen: "Jeder hat den gleichen Wert und so soll man auch miteinander umgehen."

Wie es dazu kam, dass er so gläubig wurde, dass er sogar die Verkündigung für sich wählte, kann Holger Kötz heute gar nicht mehr so genau sagen: "Ich war vorher oft skeptisch, aber irgendwann überkam mich eine große Dankbarkeit für alles, was ich erlebt habe. Nicht zuletzt habe er auch überlebt: Eine schwere Krebserkrankung besiegte er seiner Meinung nach, weil er auf sein Herz gehört habe, auf die Engel, auf sein Inneres. Fast ohne die Mittel der Schulmedizin habe er seinen Krebs zum Stillstand gebracht, glaubt er. Fragil, das wisse er, aber er ist sicher: "In Gottes Hand ist alles gut." Und schmunzelnd fügt er hinzu: "Wenn man Gott bittet, muss man sich nicht wundern, wenn es passiert."

Holger Kötz' Kraftquelle ist seine große Patchwork-Familie: Sieben Kinder und acht Enkel gehören dazu. Seine jetzige Frau traf er wieder, als sie ihre Kinder taufen lassen wollte und er dies im Rahmen seiner Ausbildung bereits übernahm. Er kannte sie von früher, doch man hatte sich aus den Augen verloren. Jetzt sind sie im achten Jahr verheiratet und ergänzen sich nicht nur als verlässliche Eltern und Großeltern, sondern auch als den Menschen zugewandte Wesen, die - Kötz' Ehefrau Marion hauptberuflich, er selbst hauptsächlich ehrenamtlich - im Homberger Seniorenheim Goldborn alte Menschen versorgen, pflegen und ihnen Beistand geben. Als Frührentner aufgrund seiner Krebserkrankung kann er oft im Seniorenheim sein und den Menschen schenken, was dort selten sei: Zeit und Zuwendung. Auch Sterbebegleitung macht er - ohne Berührungsängste im Vertrauen darauf, dass Gott alles gut macht, über den Tod hinaus.

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Besonders ans Herz gewachsen ist ihm sein Enkel Tom. Mit ihm gehe er angeln, philosophiere über Gott und die Welt, tausche Ansichten aus und - nehme ihn mit auf seine schamanischen Reisen nach innen. Tom höre seinem Opa zu und umgekehrt. "Mein Opa wird ganz selten wütend, er hat fast immer gute Laune und jede Menge Geduld."

Holger Kötz ist Prädikant mit Leib und Seele. Und er sei froh, dass er es sein könne, dass die Kirche auch für "einen wie mich" offen sei. Einen, der sich nicht verkleide, der nicht auf die Kanzel steigt, der dafür stehe, dass alle so sein können, wie sie sind. So sei Holger Kötz ein glaubwürdiger Überbringer seiner Botschaft. Genau das spürten die Menschen. Und das werde sich auch mit dem 14. Tattoo nicht ändern, heißt es in der Pressemeldung des Dekanats.