Das Urteil lautet Freispruch. So endete der Prozess um den tödlich ausgegangenen Streit über einen Drohnenflug. Angeklagt war ein ehemaliger Kriminalbeamter aus dem...
VOGELSBERGKREIS/WETTENBERG. Das Urteil lautet Freispruch. So endete am Mittwochmorgen der Prozess um den tödlich ausgegangenen Streit über einen Drohnenflug unterhalb von Burg Gleiberg. Die Schwurgerichtskammer des Gießener Landgerichts unter Vorsitz von Richterin Regine Enders-Kunze schloss sich damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung an. Die Nebenklage hatte für eine Verurteilung wegen Totschlags plädiert. Rechtsanwalt Dietmar Kleiner, der die Witwe des getöteten 55-Jährigen aus Wettenberg vertritt, erklärte, er werde "sehr wahrscheinlich" in Revision gehen. Dies werde er aber mit seiner Mandantin besprechen. Enders-Kunze sparte in ihrer Urteilsbegründung nicht mit Kritik am Angeklagten. Dass er in Notwehr dem Wettenberger ein Messer in die Brust stach, sei aber aus rechtlicher Sicht gerechtfertigt gewesen.
Die tragische Tat spielte sich an einem warmen Samstagnachmittag im August 2020 ab. Angeklagt war ein 71-Jähriger aus dem Vogelsbergkreis, ein ehemaliger Kriminalbeamter. Dieser war in Begleitung eines Freundes und hatte unterhalb der Burg eine Drohne steigen lassen. Daraufhin kam es zu einer zunächst verbalen, dann körperlichen Auseinandersetzung mit einem 64-Jährigen aus Wettenberg, der mit dem späteren Opfer in der Nähe an einem Brunnenhäuschen arbeitete. Es gab wechselseitige Faustschläge und Tritte. Als der Angeklagte den 64-Jährigen am Boden fixiert hatte, kam der 55-Jährige und trat dem Vogelsberger gegen den Kopf. Dieser berappelte sich, zog das Messer aus der Hosentasche und stach zu. Dabei wurde unter anderem die rechte Herzkammer des Wettenbergers getroffen. Der 55-Jährige starb kurze Zeit später während der Notoperation in der Gießener Uniklinik.
"Trotz des Freispruchs aus Notwehr bedeutet das nicht, dass Sie mit dem Tod des 55-Jährigen nichts zu tun hatten. Sie haben den Tod herbeigeführt, Ihre Hand hat das Messer gehalten", meinte die Richterin zum Angeklagten. "Sie haben einen Menschen getötet und mit bedingtem Vorsatz gehandelt." Es hätte ihm klar sein müssen, dass durch den Stich in die Brust Organe so verletzt werden könnten, dass es zum Tod kommt. "Das haben Sie in Kauf genommen."
Enders-Kunze nahm auch das Verhalten des Mannes im Gerichtssaal in den Fokus. "Die Tat sollte Ihnen leid tun, Sie sollten es bedauern. Es ist traurig und bedenklich, dass man davon nichts gemerkt hat." Sein Bedauern habe der 71-Jährige nur einmal in einem Nebensatz ausgedrückt, ansonsten aber das Geschehen aus seiner Sicht dargestellt. "Es gebietet der Respekt vor der Ehefrau des Getöteten, die Ihnen sechs Tage gegenübergesessen hat, auch mal Anteilnahme zu zeigen."
Die Richterin wandte sich auch an die Witwe. Alle Beteiligten an dem Streit hätten "den Abzweig verpasst" und den Ablauf nicht gestoppt. Die strafrechtliche Aufarbeitung sei in solchen Fällen oft nicht befriedigend und damit typisch für Notwehr-Fälle.
Es sei schwierig gewesen, den Sachverhalt aufzuklären. Der Angeklagte habe den Freund weggeschickt und "möglicherweise auch das Messer beiseitegeschafft". Die Vorsitzende Richterin hielt dem 71-Jährigen sich widersprechende Aussagen gegenüber der Polizei und vor Gericht vor. Die Stichverletzung sei mit einem solchen Druck und einer Wucht ausgeführt worden, dass es nicht sein könne, dass das Opfer in das Messer "hineingelaufen" sei. Dieses habe zudem weitere Verletzungen im Gesicht gehabt, die zu einem Faustschlag passten. Auch die Verletzungen des 64-Jährigen könnten nur durch den Angeklagten verursacht worden sein.
Kritisch beurteilte die Richterin die Aussagen des Wettenbergers. Es hätten sich "große Widersprüche" zwischen den Angaben gegenüber der Polizei am Tattag und vor Gericht ergeben, zum Beispiel zum zeitweise beruhigten Streit, ehe es dann durch den Versuch, die Szenerie zu fotografieren, zur körperlichen Auseinandersetzung kam.
Der Freund des Angeklagten schließlich habe sich an dessen Aussagen angepasst. So sei nach der Tat gegenüber der Polizei nicht davon die Rede gewesen, dass er wegen seiner Herzprobleme weggeschickt worden sei. Vor Gericht hatten der Angeklagte und sein Freund dies deckungsgleich behauptet.
Enders-Kunze wies darauf hin, dass der Wettenberger kein Recht hatte, den Drohnenflug zu unterbinden. Das Überfliegen von unbebauten Privatgrundstücken sei nicht verboten, nur bei Wohngebieten sehe es anders aus. Allerdings habe der 64-Jährige mit dem Versuch, den Vogelsberger und seinen Freund zu fotografieren, deren Recht am eigenen Bild missachtet. Der Angeklagte habe deshalb das Recht gehabt, dies mit Schubsen oder Wegdrücken des Arms zu unterbinden. "Dagegen durfte sich der Wettenberger aber nicht mit einem Faustschlag zur Wehr setzen", betonte die Vorsitzende Richterin. Doch durch den Faustschlag habe sich der Angeklagte in einer Notwehrlage befunden und durfte sich zur Wehr setzen. "In Notwehr darf man aber nicht alles machen, erhebliche Schläge und Tritte sind nicht erlaubt."
Der Tritt des späteren Opfers gegen den Kopf des Vogelsbergers sei rechtswidrig gewesen - "massive Gewalt" - und nicht durch Notwehr oder Nothilfe gedeckt. Der Angeklagte sah sich zwei Angreifern gegenüber und wusste, dass der 64-Jährige ein Messer dabei hatte. Beide Männer seien ihm körperlich überlegen gewesen. Daher habe der Angeklagte das Messer zum Einsatz bringen dürfen, schlussfolgerte die Richterin.
Während Rechtsanwalt Kleiner das Urteil nicht weiter bewerten wollte, sprach Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger von einer "rechtlich zutreffenden Entscheidung". Frank Richtberg, der Anwalt des Angeklagten, fand das Urteil "richtig und gerecht". Sein Mandant habe keine andere Wahl gehabt, als das Messer einzusetzen.
Die Gerichtskosten des Angeklagten werden von der Staatskasse übernommen.
Von Volker Böhm