Corona-Herzberg in Fulda: Große Musik vor kleinen Publikum

Friesische Wollmütze bei 30 Grad: Jakob Heymann präsentiert Songs aus seinem Album "Volle Akkus, leere Herzen".  Foto: Kalbfleisch

Mini-Konzerte mit musikalischer Größe und Hippie-Herzberg-Flair haben Festivalfreunde im Fuldaer Museumshof erlebt - als Alternativ-Veranstaltung zum entfallenen Herzberg.

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. Region (nka). Mini-Konzerte mit musikalischer Größe und Hippie-Herzberg-Flair haben Festivalfreunde am letzten Wochenende im Fuldaer Museumshof erlebt. Als Alternativ-Veranstaltung zu dem entfallenen Herzberg-Festival, das am vergangenen Wochenende zwischen Lingelbach und Breitenbach stattgefunden hätte, traten diverse Künstler der alternativen Musik- und Literaturszene live auf. Am Freitagabend sangen der Liedermacher und Unterhaltungskünstler Jakob Heymann sowie die neuseeländische Sängerin und Songwriterin Teresa Bergman teils poetisch, teils augenzwinkernd von Alltags-Absurditäten, Gegenwartswahnsinn und Zukunftsblues. Zwischen beiden Konzerten las der Braunschweiger Autor und Journalist Frank Schäfer unter anderem Erzählungen aus "Jagdszenen in Niedersachsen" und seinem Band über das Burg Herzberg Festival vor. Veranstaltet wurde die Konzertreihe von der Herzberg Festival GmbH, dem Kulturzentrum Kreuz sowie der Fuldaer Initiative "Kultur.Findet.Stadt", die es sich zum Ziel gesetzt hat, wieder Open Air Konzerte zu organisieren und Künstler zu unterstützen.

Der Freitagabend bildete dabei den Auftakt zu den Live-Veranstaltungen des "Herzberg-Wochenendes". Die Veranstaltungsreihe wurde am Samstagabend fortgesetzt mit den Auftritten von Klaus der Geiger und Marius Peters, Cynthia Nikschas und Friends sowie Henrik Freischlader und seiner Band. Am Sonntagabend trat mit The Magic Mumble Jumble eine Herzberg-Kultband auf, bei der das Tanzverbot besonders schwerfiel. Alle Konzerte hatten eine Obergrenze von 100 Besuchern, welche sich vorab anmelden mussten, wobei die Samstags- und Sonntagskonzerte binnen kürzester Zeit ausverkauft waren. Eine Abendkasse durfte es nicht geben. Die Lust auf Live-Musik und Festival-Flair war an allen Abenden deutlich spürbar, wobei die Konzerte nur einen kleinen Trost zu dem ausgefallenen Herzberg Festival "auf dem Berch" an der B 62 bieten konnten, zu dem über 10 000 Menschen gekommen wären. Die Macher des Festivals, die zum Schutz der Natur von diesjährigen nostalgischen Besuchen des Festivalgeländes abgeraten hatten, hatten ein Alternativprogramm auf die Beine gestellt, das sich sehen lassen konnte. Alle Konzerte im Museumshof wurden in den sozialen Medien live übertragen und sollten somit allen zu Hause Gebliebenen die Wartezeit auf das nächste "echte" Festival versüßen. Auch der Hessische Rundfunk berichtete am Freitagabend aus dem Fuldaer Museumshof. Der Radiosender rockradio.de griff am Wochenende Musikwünsche der Festivalfans auf und bot als musikalisches Trostpflaster ein auf die Veranstaltung abgestimmtes Programm an. Auch viele Vogelsberger verbrachten das heiße Herzberg-Wochenende zu vertrauten Klängen im Garten, beim Campen oder räumlich getrennt von ihrer "Festival-Familie", aber im Herzen vereint per Videoanruf auf dem mit Batiktüchern geschmückten Balkon. Für die Besucher der Fuldaer Konzerte gab es vor Ort ein Wiedersehen mit vielen bekannten Festival-Gesichtern, etwa den Veranstaltern oder den Crew-Mitgliedern, die im sehr kleinen Kreis feierten.

Der Freitagabend ließ deutlich die gemischten Gefühle sichtbar werden, die ein Livekonzert nach der "großen Stille" des kulturellen Lockdowns begleiten: Große Freude an der Musik und am Miteinander, aber kein Tanzen, kaum lautes Mitsingen, weniger ausgelassene Unbeschwertheit, dafür viel Applaus und dann fast feierliche Stille. "Alles in Ordnung mit euch?", rief die Sängerin Teresa Bergman, die ansonsten vor Hunderten bis Tausenden von Fans auftritt. "Eigentlich ist Fulda dafür bekannt, dass es so schnell ausrastet." Die Künstler verbreiteten von der Bühne aus viel Energie, die das sitzende Publikum glücklich aufsog, aber verständlicherweise verhaltener als bei einem Mehrtausend-Mann-Open Air zurückgab.

Dennoch sorgten Jakob Heymann, Frank Schäfer und Teresa Bergman mit ihren Auftritten für Begeisterung und Gelächter. Ersterer sang über koksziehende Veganer, Whatsapp-Wahn und die hausgemachte Hölle der Hipster-Szene, wobei er den Zahn der Zeit ironisch packte, bis es an der Wurzel zwickte. Der Liedermacher erinnerte mit seiner warmen, klaren Stimme und den teils scharfen, aber nie boshaften Texten an einen jungen Reinhard Mey mit Koffeinschock. Mit gespielt nervösem Augenzucken, sehr abrupten Songwechseln und satirischen Einlagen karikierte der Musiker unsere schnelllebige Zeit und präsentierte Songs aus seinem Album "Volle Akkus, leere Herzen". Mit frischem Humor und friesischer Wollmütze bei knapp 30 Grad am Abend - "wegen Image und so" - eroberte er sein Publikum im Sturm, wobei er abwechselnd amüsierte und irritierte. Er erzählte, wie er als junger Künstler den Lockdown erlebt und zum Drechseln und Imkern gefunden habe, und berichtete von Autokonzerten, bei denen er das Publikum zum Mitmachen animiert habe: "Blinker links, Blinker rechts, und jetzt der Nebelscheinwerfer, aber niemand weiß, wo das verf*ckte Ding ist!" Jakob Heymann freute sich sehr, wieder vor Publikum zu stehen: "Es ist ein gutes Gefühl, sich mal wieder selbst zu hören", kommentierte er augenzwinkernd die Situation.

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Auch der Autor Frank Schäfer brachte seine Freude über die Live-Begegnung zum Ausdruck: "Diese drei Tage voller Musik und Literatur sollen die Flamme am Brennen erhalten; das große Feuer wird es hoffentlich wieder 2021 geben." In seinen witzig-skurrilen Texten las er von den Fahrkünsten seiner Mutter und seinen ersten Verkehrserfahrungen, von Wacken-Gängern und spitzfindigen Baronen, von Dorfschamanen und Übermüttern, dem großen Schlammjahr 2017 und einem Herzberg-Festival-Sticker, der mit "Make love work" einem Mann irrtümlich suggerierte, dass es sich bei dem Fuldaer Festivalbüro um ein Bordell handele.

Ein Kontrastprogramm und gleichzeitig eine wunderbare Ergänzung zur Festivalatmosphäre bot im Anschluss die gebürtige Neuseeländerin und heutige Berlinerin Teresa Bergman, die mit der Lebensfreude und Anmut eines bunten Schmetterlings an einem Sommertag auftrat. Mit glasklarer Stimme und Songs zwischen Folk, Pop, Jazz, Soul und Chanson lud sie ihr Publikum zum Träumen ein, holte es aber auch immer wieder mit nachdenklichen Texten und kritischen Kommentaren in die Realität zurück. Betroffen zeigte sie sich darüber, wie schwer es gerade der Kulturbetrieb derzeit habe.

Ermöglicht wurden die Livekonzerte nur dank eines aufwendigen Sicherheitskonzeptes, bei dem die Hygiene- und Abstandsregeln im Museumshof vorbildlich umgesetzt wurden. Neben den üblichen Auflagen wie der Maskenpflicht beim Verlassen des Platzes, einer streng begrenzten Personenzahl und des Tanzverbotes standen alle Stühle bei dieser Freiluft-Veranstaltung einzeln, paarweise oder in Kleingruppen weit auseinandergerückt. Musik, aber kein Tanzen; Begegnung, aber keine Berührung - so lässt sich dieses Livekonzert nach dem Lockdown beschreiben. Aber auch wenn es an diesem Herzberg-Wochenende nicht jene Berührungen geben konnte, für die das Herzberg Festival in all den Jahren stets stand: Die innere Berührung durch Musik und Literatur ist an diesem Wochenende gelungen.