Eine harmonische Kindheit in Reimenrod

Ortsvorsteher Gerhard Agel  und Lothar Naumann mit Antje Olivier vor der Biebener Schule wo sie 1950 eingeschult wurde. Karin Agel

Ehemalige Reimenröderin Antje Olivier besucht nach 79 Jahren ihre Heimat.

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REIMENROD. Reimenrods Ortsvorsteher Gerhard Agel konnte kürzlich viele Gäste Antje Olivier im DGH des Grebenauer Stadtteils begrüßen. Die heute in Wuppertal lebende Publizistin, die 1944 im Alsfelder Krankenhaus geboren wurde und bis 1952 in Reimenrod eine harmonische Kindheit erlebte, erzählte von damals und las einige Passagen aus ihrer Erzählung. "Eine Kindheit in Hessen".

Die Recherchen zu ihrer jüngsten Erzählung führten sie an den Ort ihrer Kindheit, die für sie rundum harmonisch war. Ihre Großeltern, Mutter und Tante waren im Sommer 1943 aus Essen nach dreimaligem Verlust ihrer Wohnung aufgrund von Bombenangriffen als Evakuierte ins oberhessische Reimenrod gekommen. In ihrer Verzweiflung wandten sie sich an den damaligen Bürgermeister Konrad Becker, der spontan die vierköpfige Familie aufnahm, die bald Nachwuchs bekommen sollte. Und so wuchs Antje in einem Dorf ohne Kirche, ohne Ämter, ohne Geschäfte auf, erzählt die heutige Journalistin den Gästen. Aber all das vermisste sie nicht, wurde von Mutter und Oma liebevoll umsorgt und mit Liedern in den Schlaf gewiegt.

Es war selbstverständlich, dass die Evakuierten auf dem Hof und den Feldern mithalfen. "Meine Mutter, die durch einen fünfjährigen Aufenthalt in New York Englisch sprach, fungierte außerdem als Übersetzerin für den amerikanischen Kommandanten der Besatzungstruppen, das half in der prekären finanziellen Situation", erzählte Olivier. Der Vater der kleinen Antje war nicht Soldat geworden - zur Mobilmachung befanden sich die Eltern auf einer Kaffeeplantage in Guatemala - hatte aber 1943 eine Anstellung in der Deutschen Botschaft in Madrid gefunden. Von Spanien kamen zwar Briefe mit schönen Gedichten, nur das Geld für den Unterhalt von Frau und Tochter fehlte. Und der Vater fehlte. "So lebte meine Mutter von der Fürsorge und der Großzügigkeit der Gastgeber", so Olivier. Ihr seien vor allem die Samstage in guter Erinnerung, sagt Antje Olivier, "wenn Frau Becker mit riesigen Kuchenblechen nach Hause kam und wir manchmal am großen Küchentisch mitessen durften."

Nach Kriegsende tauchte im Dorf unter einem falschen Namen ein NSDAP-Mitglied auf, der aufgrund seiner Tätigkeit in der Koblenzer Gauleitung untergetaucht war. Der Witwer warb um Antjes Mutter (die nichts von seiner politischen, Tätigkeit wusste) und so zog man 1952 nach Altenkirchen/Westerwald, in seine Heimatstadt. "Mit seinen eigenen fünf Kindern, Großmutter, Mutter und mir waren wir nun ein Acht-Personen-Haushalt. Nach der glücklichen Zeit in Reimenrod war das der absolute Familienschock für mich", schilderte sie. Nach der Gymnasialzeit verließ sie die Stadt, studierte Sprachen in Köln, machte Zeitungsvolontariat in Düsseldorf, wo sie lange Jahre als Redakteurin arbeitete. Ihre Publikationen behandeln das Thema "Frauen in der Musikgeschichte, Komponistinnen und Frauen im Dritten Reich. "Erst im Alter habe ich zu meiner eigenen Geschichte der Hugenotten, die nach 1685 aus Frankreich vertrieben wurden, recherchiert. Und am Ende landet ich da, wo ich herkam: in Reimenrod." Der Ort wurde ihr von Ortsvorsteher Gerhard Agel und Beirat Lothar Naumann bei einem Rundgang mit vielen Erklärungen nochmals vor Augen geführt.