"Situation dramatischer geworden"

Mit Blütenpollen bepackt landet eine Biene auf einer Blüte. Das Insekten- und Artensterben hat auch Auswirkungen auf die Bestäubung von Nutzpflanzen. Foto: Jensen/dpa

Leidenschaftliche Diskussionen über die Zukunft der Landwirtschaft beherrschten die Wintertagung und Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft...

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EUDORF. Leidenschaftliche Diskussionen über die Zukunft der Landwirtschaft beherrschten die Wintertagung und Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Hessen am Sonntag im Hotel "Zum Schäferhof" in Eudorf. Thema des Tages war "Was blüht denn da (nicht)? Landwirtschaft im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Artenvielfalt".

Jutta Sundermann von der "Aktion Agrar - Landwende jetzt!", die sich für die Zukunft bäuerlicher Landwirtschaft einsetzt, leistete ebenso einen Redebeitrag wie Dr. Beatrix Tappeser, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die auch ein offenes Ohr für die Beiträge und Wünsche der Anwesenden hatte.

Im AbL sind bundesweit etwa 2000 Mitglieder organisiert, davon haupt-sächlich kleine und mittlere bäuerliche Betriebe, die konventionelle oder ökologische Landwirtschaft betreiben.

Hauptanliegen der Arbeitsgemeinschaft ist ein Wandel der Agrarpolitik mit dem Ziel der Unabhängigkeit von der Agrarindustrie, der Schonung von Umwelt und Ressourcen, Tierschutz, Qualitätsorientierung sowie Generati-ons- und Sozialverträglichkeit.

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Auch innerhalb von Bündnissen versucht die AbL auf die politischen Entscheidungsträger im Land, im Bund und auf EU-Ebene einzuwirken, um die immer weiter fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft aufzuhalten und sich auf die bäuerliche Landwirtschaft zurückzubesinnen.

Dazu gehört für die im AbL organisierten Landwirte unter anderem auch der Verzicht auf Herbizide wie Glyphosat, ein Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tiere sowie das freie Recht auf Nachbau von Saatgut.

Die Existenzangst der Anwesenden, die allen Widerständen seitens der Industrie, der Politik, aber auch den Bauernverbänden zum Trotz versuchen, bäuerlich zu wirtschaften, war auf der Tagung deutlich spürbar. So schwebe etwa mit der neuen Düngeverordnung, die seit letztem Jahr besteht und in 2020 umgesetzt sein müsse und unter anderem die Gülleausbringung regelt, ein weiteres Damoklesschwert über den kleinen und mittleren Betrieben, die sich die neue Ausbringungstechnik finanziell schlicht nicht leisten könnten. Kosten-günstigere mikrobiologische Alternativen zur Reduzierung der Ammoniakausdünstungen, wie sie beispielsweise der zweite Vorsitzende Dr. Peter Hamel auf seinem Milchbauernhof in Schwalmtal betreibt, sehe die neue Verordnung nicht vor. Jedoch sei es möglich, so Hamel, auf diesem Wege die Ammoniakemission um 30 bis 50 Prozent zu reduzieren. Die Landesregierung müsse ein solches System jedoch zunächst prüfen und genehmigen lassen. Auf eine entsprechende Petition im Internet wies der 2. Vorsitzende die Teilnehmer der Tagung hin und appellierte an dieser Stelle an Staatssekretärin Tappeser, sich doch für die Interessen der kleinen und mittleren Betriebe einzusetzen.

Ein weiteres Problem der neuen Verordnung sei, dass weniger Gülle ausgebracht werden dürfe. Vielen Landwirten würden jedoch die Lagerkapazitäten fehlen. Im Endeffekt werde dies dazu führen, wie der Vorsitzende Reinhard Nagel erläuterte, dass die Gülle in Zukunft noch weiter transportiert werden würde: "Es wird bereits darüber geredet, Gülle nach Russland zu exportieren."

Generell seien Bauern und Landwirtschaft in "unserer Region ein Auslaufmodell", bedauerte Hamel. Es drohe ein immenser Strukturwandel und das "Agrarsystem ist eine ständige Aufforderung zur industriellen Landwirtschaft".

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Jutta Sundermann berichtete über ihr Engagement für die Arten- und Lebensraumvielfalt. Anlässlich der Grünen Woche sei sie vor Ort in Berlin gewesen und habe sich dort mit vielen Demonstranten unterhalten. Großes Thema sei das Insektensterben gewesen und der Einsatz von Glyphosat, der daran Anteil habe. Festgestellt habe sie, dass diese Themen die Menschen bewegten und dass der Schutz von Vielfalt eigentlich Konsens sei, jedoch spielten in der Umsetzung Wirtschaftsinteressen eine zu große Rolle.

Ursachen für den Artenrückgang seien immer größere Monokulturen, starker Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, zu häufige und zu intensive Mahd, Grünland-Umbruch, Entwässerung und eine immer weiter perfektionierte Saatgut-Reinigung. Auch Flächenversiegelung und Entwaldung trügen zum Problem bei.

Bei vielen Menschen, nicht nur Landwirten, sei aber ein Umdenken zu beobachten. So gäbe es Beispiele von Höfen, die Schaugärten für Besucher öffneten, auch der Umgang mit Saatgut würde von vielen wieder sensibler behandelt. Man sehne sich nach einer Verminderung der Macht der Saatgutkonzerne.

In der Praxis würden immer mehr Menschen versuchen, dem Artensterben entgegenzutreten. So würden wieder vermehrt Totholzhecken zur Ansiedelung von Vögeln angelegt.

Wichtig sei auch, ein Bewusstsein für den Umgang mit den Böden als "Grundlage für die Artenvielfalt" zu wecken. Jahrelang sei gar nicht bedacht worden, was eigentlich mit den Kleinstlebewesen im Boden bei der Verwendung von Pestiziden geschehe, die Diskussionen dazu hätten erst in jüngster Zeit begonnen.

Im Bereich der Artenvielfalt, der Biodiversität, sehe es nicht gut aus, gab Staatssekretärin Tappeser zu, man bemühe sich jedoch um Verbesserungen. So habe es kürzlich einen Bundesratsbeschluss gegeben, der eine Reihe von Forderungen des Umweltausschusses bezüglich Klimaschutz und Biodiversität aufgenommen habe.

Was auf EU-Ebene geschehe, stehe aber noch mal auf einem anderen Blatt.

Fakt sei, dass die Landwirtschaft von der biologischen Vielfalt abhängig sei. Umgekehrt sei aber auch die Vielfalt von der Art und Weise der Landwirtschaft abhängig. Die Situation sei in den letzten Jahren immer dramatischer geworden. Es gelte nun, dies "aufzuhalten und zu drehen". Dies sei eine "Querschnittsaufgabe" aller Ministerien, betonte Tappeser, denn die Artenvielfalt läge im Interesse aller. Sei Jahrzehnten würden Zielmarken gesetzt und stets verfehlt.

Bezüglich der Artenvielfalt sei nicht nur das Insektensterben dringendes Thema, denn auch etwa 17 Prozent der Wirbeltierarten weltweit seien an der Bestäubung beteiligt und auch von diesen seien viele bedroht. Von der Bestäubung durch Insekten und Wirbeltiere seien wiederum über 80 Prozent der Nahrungsmittelproduktion abhängig. In anderen Zahlen ausgedrückt: "In Europa werden pro Jahr 200 bis 500 Milliarden Euro durch Bestäubung generiert." Dies entspräche mehr als dem gesamten Bundeshaushalt. Die "ökologische Dienstleistung" der Bestäubung sei als selbstverständlich betrachtet worden. Um die Artenvielfalt und somit die Bestäubung zu erhalten, beteilige sich die Landesregierung an zahlreichen Kampagnen, zwar sei die Umsetzung nicht immer gut gewesen, aber "wir versuchen viel und haben das auch in Zukunft vor", versprach die Staatssekretärin.

So sei ein Hauptziel, Schadstoffeinträge durch Pestizide und Herbizide zu reduzieren. Weiterhin gelte es, die Biodiversität in der landwirtschaftlichen Beratung noch stärker zu integrieren.

In der anschließenden Diskussion kamen weitere Missstände zur Sprache. So hätten einige Teilnehmer beobachten können, dass Glyphosat an manchen Orten auf Nicht-Kulturflächen eingesetzt worden sei, was jedoch verboten sei. Auch dass in den letzten Jahren vermehrt gehandhabte Mulchen von Feldwegen und Feldrändern und die fehlende Kontrolle durch die Kommunen wurden bemängelt.

Einhellig plädierten die Tagungsteilnehmer für mehr Beratung und Forschung bezüglich der Biodiversität und vor allem die jungen Bauern kritisierten die stark veraltete Ausbildung sowohl an den Schulen wie auch an den Universitäten. So erzählte eine Landwirtin von einem Professor, der den Einsatz von Glyphosat unkritisch "in Hirnwaschmanier" verteidigt habe.

Eine Lanze für die landwirtschaftliche Ausbildung in Alsfeld brach abschließend Hamel. Hier würde mittlerweile rege diskutiert. "Es tut sich was."

Fotos: Frank