"Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut." Erstmals fanden im Vogelsbergkreis am Freitag Demonstrationen der "#FridaysForFuture"-Bewegung statt.
VOGELSBERGKREIS. "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut." Erstmals fanden im Vogelsbergkreis am Freitag Demonstrationen der "#FridaysForFuture"-Bewegung statt. Und das gleich an drei Orten in Alsfeld, Lauterbach und Homberg. Aufgerufen dazu hatte neben "#FridaysForFuture" aber vorrangig der BUND, Nabu, das evangelische Dekanat, der Alsfelder Weltladen und weitere Interessenverbände.
In Alsfeld am Schwälmer Brunnen hatten sich etwa 150 Demonstrationsteilnehmer versammelt. Bei einigen machte sich Unmut breit, dass sie aufgrund der Baustelle am Marktplatz nicht dort auf ihre Belange aufmerksam durften. "Ich lasse mir doch nicht von Stephan Paule verbieten, wo ich demonstriere", rief ein sichtlicher erzürnter Alsfelder. Nichtsdestotrotz starteten die Redebeiträge vor dem Schwälmer Brunnen, um den sich die Teilnehmer dicht drängten. Etliche Schüler aber auch Erwachsene hatten Transparente gemalt und reckten diese in die Höhe. Die Auswirkungen des Klimawandels auf einem erträglichen Niveau zu halten, sei der Grund der Protestaktion, eröffnete Yvonne Jordan die Kundgebung. Sie war für den erkrankten Philipp Balles vom BUND eingesprungen, machte aber deutlich, dass sie eine Privatperson sei und sich als Mutter von zwei Kindern für deren Zukunft einsetzen wolle. Klimapolitik müsse auch eine soziale Politik sein. Die bisherigen Maßnahmen zum Klimaschutz reichten nicht aus, betonte Jordan. Auf sie folgte der im Gießener Raum bekannte Umweltaktivist Jörg Bergstedt von der Projekt Werkstatt Saasen. Er forderte den radikalen Rückbau der Automobilindustrie, stattdessen jede zweite Straße ausschließlich für Fahrräder freizugeben, Haltestellen in jeder Ortschaft entlang der Vogelsbergbahn, den Wiederaufbau der Bahnstrecke nach Bad Hersfeld sowie komplett autofreie Städte. Die Bewegung habe ein dickes Brett gegen die Automobilindustrie und ihre Politiker zu bohren. Er lade alle Interessierten am 1. Oktober ins Hotel Klingelhöffer ein, um gemeinsam entsprechende Aktionen zu planen. Als Nächstes ergriff Barbara Schlemmer (Stadträtin in Homberg / Die Grünen) das Wort. Sie habe in Homberg nicht sprechen dürfen. Ihre Forderung: Kein Bau der A 49. Ein Bau durch das Wasserschutzgebiet gefährde die Trinkwasserversorgung sogar für das Rhein-Main-Gebiet. Paul Runkel vom Freiwilligenzentrum in Alsfeld hoffte auf zielführende Beschlüsse der Großen Koalition in Berlin. "Bei allen Krisen vergisst man schnell, wie gut es uns geht", zeigte er sich nachdenklich. Daher gelte es optimistisch in die Zukunft zu blicken, aber den Klimaschutz nicht zu vergessen. Er lud alle Teilnehmer ins Freiwilligenzentrum ein, um gemeinsam über eine bessere Klimapolitik zu diskutieren. Der Schluss der Veranstaltung gehörte dann den Kindern und Jugendlichen. Sie trugen kurze Gedichte vor, präsentierten ihre Spruchbänder und machten ihre Forderungen für eine bessere Zukunft deutlich.
Lauterbach
Die Zahl der Schüler auf dem Lauterbacher Marktplatz war handverlesen, bei der Demonstration für Klimaschutz. Omas und Opas, die 68er-Generation, dominierte eindeutig unter den rund 200 Teilnehmern der Veranstaltung. Greta Thunberg wäre über die Resonanz der "#FridaysForFuture"-Bewegung an Lauterbachs Schulen wie Sarah von der Vogelsbergschule enttäuscht gewesen. Der erwartete Ansturm nach der sechsten Stunde blieb aus. Die Polizei warf nur einen kurzen Blick auf die Veranstaltung. So hinterließ die Großeltern-Initiative, die mit Transparenten für die Zukunft ihrer Enkel eintrat, den nachhaltigsten Eindruck auf dieser Klimaschutz-Demo, die Maja Wink-Maraika von der evangelischen Jugend angemeldet und eröffnet hatte. Verschiedene Organisationen nutzten das Forum, um für ihre Forderungen wie etwa die Schließung aller Schlachthöfe einzutreten. Politbarde Broder Braumüller sorgte für den musikalischen Abschluss. Viele bekannte Gesichter waren unter den politisch Interessierten wie Stadtjugendpfleger Andreas Goldberg, die Pfarrer Karin Klaffehn und Sven Kießling, CDU-Kreisvorsitzender Jens Mischak und der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Ruhl oder Jutta Jawansky-Dyroff und Daniel Schmidt von den Grünen, wobei Schmidt betonte: "Ich komme allein, die Kinder haben alle Termine." Es waren aber auch etliche Großeltern und einige Väter mit Vorschulkindern anwesend.
Die Hauptrede hielt Martin Werner vom BUND. Er nannte als Ziel, die Auswirkungen des Klimawandels auf einem erträglichen Niveau zu halten. Hitzewellen, Stürme und Missernten zeigten, "die bisherigen Maßnahmen sind zu wenig, und es geht zu langsam voran". Verschiedene Wortmeldungen kritisierten, dass der Vogelsbergkreis nicht den Klimanotstand ausgerufen habe. Fritz Habel aus Schlitz war mit dem Rad nach Lauterbach gekommen und forderte den Bau eines Radweges über Willofs in die Kreisstadt.
Homberg
Eine unerwartet hohe Anzahl von rund 100 jungen Leuten demonstrierte am Vormittag in Homberg, zu denen sich bei der Abschlusskundgebung am Rathaus auch ein Dutzend Erwachsene gesellten. Holger Schäddel, der für die "schulbezogene Arbeit des Evangelischen Dekanats Vogelsberg" den Streik beziehungsweise die Demonstration gegenüber den Ordnungsbehörden verantwortete, zeigte sich mit der Resonanz zufrieden. Er machte deutlich, dass die Initiative zu der Aktion Schülern der Ohmtalschule selbst ausgegangen war. Deren Anliegen machten Sarah Wiegand und Aaron Osiecki deutlich. Osiecki stellte den Zusammenhang zu den Forderungen der internationalen Bewegung für den Klimaschutz "#FridaysForFuture" her und unterstrich die Dringlichkeit des Handelns. Der Kernpunkt dabei ist der Umbau des Energiesystems in Deutschland schneller als bisher von der Bundesregierung geplant. Der Ausstieg aus der Kohle soll danach bis 2030 und nicht erst 2038 vollzogen sein. 2035 soll die "Nettonull" erreicht sein, das heißt, die Kohlendioxidemissionen auf Null zurückgefahren sein und die Energieversorgung zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen erfolgen. Sarah Wiegand befragte Professor Klaus Peter Ebke vom Forschungszentrum Neu-Ulrichstein zu seiner wissenschaftlichen Sicht auf den Stand im Klima- und Umweltschutz.
"Ihr verteidigt eure Zukunft, dazu habt ihr alles Recht," meinte Ebke. "Ihr habt die Macht, uns zu bewegen", ermutigte er die Demonstranten. Für ein so berechtigtes und wichtiges Anliegen sei es durchaus in Ordnung, "mal die Schule zu schwänzen". Der Ökotoxikologe ging auf seine Forschungen im Institut in Neu-Ulrichstein ein und machte die Problematik der Erderwärmung für im Boden und insbesondere in Sedimenten von Gewässern eingelagerten Chemikalien deutlich. Diese könnten sich durch die steigenden Temperaturen im Wasser lösen und von Tieren und Pflanzen aufgenommen werden - mit Konsequenzen, die derzeit schwer abzuschätzen seien. "Hier ticken möglicherweise Zeitbomben," sagte Ebke. Als "Försterin for future" unterstützte Claudia Mävers, die Leiterin des Homberger Forstreviers, das Anliegen der Klimaschutz-Bewegung. Sie verwies darauf, dass der Wald bereits deutliche Auswirkungen der Klimaveränderungen zeige. Man forsche, was man machen könne, um den Wald mit Baumarten neu aufzubauen, die das wärmere Klima besser aushalten. "Wir sind als Förster superfroh, dass ihr das Thema aufnehmt," rief sie den Schülern zu.
Auch Hombergs Bürgermeisterin Claudia Blum (SPD) ging auf bereits spürbare Auswirkungen des Klimawandels ein, indem sie an die Starkregenereignisse der letzten Jahre erinnerte. Auf die Frage, was die Stadt gegen die drohende Klimakatastrophe tun könnte, kam aus dem Publikum der Zuruf: "Die A 49 stoppen!" Dass sehe sie als nicht möglich an, weil der Kommune dafür die Kompetenzen fehlten, argumentierte sie. Einzelne Maßnahmen zum Klimaschutz werde das Stadtparlament am 12. November im Rahmen eines "Klimaschutzteilkonzepts" diskutieren. Ob dies mit den Forderungen der Klima-Streikenden in Übereinstimmung ist, wird sich zeigen. Der 12. November ist jedenfalls kein Freitag.