Schlachtfeld für Ego-Kriege oder Einladung zum Mitmachen? Der Alsfelder Geschichts- und Museumsverein gibt eine Stellungnahme zum Datum des Stadtjubiläums ab.
ALSFELD. Die Geschichte Alsfelds ist facettenreich und kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Die kürzliche Diskussion um das Stadtjubiläum illustriert das eindrücklich. Dabei gibt es unterschiedliche Ebenen und Sichtweisen, die teilweise miteinander vermischt wurden, schreibt der Geschichts- und Museumsverein (GMV) in einer Pressemeldung.
Da ist zunächst die Sachebene: Welche Indizien sprechen dafür, dass Alsfeld im Jahr 1222 Stadtrechte hatte, und welche sprechen dagegen? Dazu ist zu konstatieren, dass es hier keine eindeutige Antwort geben kann, denn es fehlt ein entsprechender Beleg in Form einer historischen Quelle, aus der zweifelsfrei hervorgeht, wann Alsfeld Stadtrechte bekam, so der GMV. Also sei jede Festlegung auf ein Datum für Jubiläumsfeierlichkeiten bereits ein Kompromiss. Die kürzlich vorgebrachten Sachargumente seien in der wissenschaftlichen Diskussion bereits seit Jahrzehnten bekannt und in der aktuellen Festschrift wird auch an mehreren Stellen auf diese Problematik hingewiesen. In der Festschrift zum 750-jährigen Jubiläum im Jahr 1972 sogar ausführlich erläutert. Diese Tatsache führt zur Betrachtung der nächsten Ebene: die des wissenschaftlichen Diskurses.
Einseitiger Fokus auf Lücken
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu, ein streitbarer und engagierter Intellektueller mit besonderem Blick, prägte das Bonmot: "Die Soziologie ist ein Kampfsport." Dieses schöne Diktum verdeutlicht, dass es in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung Regeln und Grenzen gibt, die für alle Beteiligten gelten und an die sich seriöse Wissenschaftler halten sollten. Dazu gehöre auch, dass man in der Auseinandersetzung mit der Forschung anderer Autoren sowohl auf die Schwächen als auch auf die Stärken deren Texte und Forschungen hinweist. "Der einseitige Fokus auf potenzielle Schwächen, Lücken und Formfehler in der Art, wie wir es in letzter Zeit gesehen haben, sind offensichtliche Tiefschläge und wären im Fußball jeweils klare Rote Karten. Fair Play sieht auch in einer sehr streitbaren Wissenschaft wie der Geschichtswissenschaft anders aus", reagiert der GMV unter anderem auf einen Gastbeitrag von Axel Haltenhof in dieser Zeitung am 11. März. "Als weiterer Faktor in unserer Betrachtung spielt die Ebene der öffentlichen Erinnerungskultur eine zentrale Rolle. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse sind tendenziell komplex und lassen sich nur schwer auf einzelne Daten und Fakten reduzieren. Genau das muss eine öffentliche Erinnerungskultur aber tun, um Feierlichkeiten und Jubiläen überhaupt durchführen zu können", führt der GMV aus. Jeder Bezug auf eine Facette der Alsfelder Geschichte könne also nur eine Verengung oder eine Auswahl einzelner Aspekte darstellen. Außerdem müsse eine öffentliche Erinnerungskultur ein gewisses Maß an Pragmatik beinhalten: "Wer sollte den Alsfeldern etwa erklären, warum die 800-Jahr-Feier nicht fünfzig Jahre nach der 750-Jahr-Feier und hundert Jahre nach der 700-Jahr-Feier stattfinden sollte?" Die Vorstellung, man müsse Wissenschaft und Erinnerungskultur synchronisieren, fuße zudem auf einem antiquierten Geschichtsverständnis, das bereits seit fast einem Jahrhundert als überkommen gelte. Die öffentliche Erinnerungskultur antworte zwar auf wissenschaftliche Forschung, beziehe aber auch noch andere Faktoren mit ein. Die Vorstellung, man müsste beide Ebenen synchronisieren, sei somit das, was man in der Philosophie eine Metabasis nennt: Was auf einer Ebene (hier: der wissenschaftlichen, sachlichen Auseinandersetzung) gilt, könne nicht ohne Weiteres auf eine andere Ebene (hier: die öffentliche Erinnerungskultur der Stadt Alsfeld) übertragen werden. Oder, um erneut eine Sportmetapher zu benutzen: Auch wenn beide Sportarten mit einem Ball gespielt werden, kann man nicht ohne Weiteres mit einem Tennisschläger aufs Fußballfeld ziehen.
Berechtigte Argumente
Die vorgebrachten Argumente seien gut recherchiert und auch bereits seit Jahrzehnten bekannt, gut ausformuliert und in ihrer Sache grundsätzlich auch berechtigt. Wissenschaft lebt von einer lebhaften Auseinandersetzung und Kritik kann etwas sehr Bereicherndes sein. Die Antworten auf die einzelnen Sachaspekte seien aber in den letzten beiden Festschriften zur 750-Jahr-Feier und zur 800-Jahr-Feier nachzulesen. Daher spiele die Art und Weise, wie und zu welchem Zeitpunkt die Kritiken veröffentlicht wurden, ebenfalls eine Rolle. Das Fest ist gefeiert, das Buch ist veröffentlicht. In der Fußballersprache: Der Pass ist gespielt, der Ball im Tor. "Wer jetzt nachtritt, bekommt zu Recht die Rote Karte, denn die Alsfelder Stadtgeschichte darf nicht zum Schlachtfeld für kleingeistige Ego-Kriege missbraucht werden", so der GMV. Sie sei offen für neue Erkenntnisse und eigene Forschungen. "Daher bemühen wir als GMV uns um eine lebendige Geschichtskultur, die Eigeninitiative würdigt und begrüßt. Unsere Stadtgeschichte lebt vom Mitmachen, und dazu ist Jede/r herzlich eingeladen, einen eigenen Beitrag zu leisten."