2,6 Millionen Euro sind an fünf Gemeinden verteilt worden. Wie die Menschen an der Ahr von der Welle der Hilfsbereitschaft profitieren.
AHRBRÜCK. Ein Vierteljahr ist vergangen, seit die Flutkatastrophe an der Ahr eine ganze Region verwüstet hat. Ein Vierteljahr ist vergangen, seit in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli in dem Eifeltal 134 Menschen uns Leben kamen und rund 20.000 Flutgeschädigte zurückgeblieben sind. Eine Katastrophe, die zugleich die größte Hilfsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik ausgelöst hat. Rekordverdächtig war auch die Spendenbereitschaft der Leser der VRM-Zeitungen. Nie zuvor haben die Hilfsvereine der Zeitungstitel eine solche Welle der Unterstützung erfahren: 2,6 Millionen Euro kamen auf dem eigens eingerichteten Sonderkonto der Gemeinde Ahrbrück zusammen.
Gemeinsam hatten „Leser helfen“ (Allgemeine Zeitung), „Ihnen leuchtet ein Licht“ (Wiesbadener Kurier), „Echo hilft“ (Darmstädter Echo) und „Helft uns helfen“ (Wetzlarer Neue Zeitung) aufgefordert, ganz konkret für die Menschen in mehreren kleine Orten an der mittleren Ahr zu spenden, zu denen die TV-Kameras am Anfang nicht vorgedrungen waren. Zeit für eine Zwischenbilanz mit den Bürgermeistern jener fünf Gemeinden, in die die Spenden der VRM-Leser geflossen sind.
Zunächst waren das nur Ahrbrück (1200 Einwohner) und Hönningen (1050 Einwohner). In den beiden Ortsgemeinden sind sieben Menschen ums Leben gekommen, 25 Häuser von der Fluten weggerissen oder zerstört worden. Rund 200 Häuser wurden allein in diesen beiden Dörfern bis in die zweite Etage hinein überflutet.
Als die Spenden der Zeitungsleser die Millionenmarke überschritten, entschieden die Bürgermeister zunächst, auch das benachbarte Altenahr (1900 Einwohner) in den Kreis der Gemeinden aufzunehmen. Hier hatte der Ortsteil Altenburg traurige Berühmtheit erlangt, der bis auf ein Dutzend Häuser unter Wasser stand. Das Luftbild von dem komplett abgesoffenen Dorf lief durch alle Medien. Später rückte auch Kirchsahr (knapp 400 Einwohner) in den Blick, das vom Ahr-Zufluss Sahr weitgehend zerstört wurde und deutlich länger als die Orte an der Ahr von der Außenwelt abgeschnitten war.
Als fünfte Gemeinde ist nun noch Rech dazu gekommen
Beim jüngsten Kassensturz entschieden die vier Bürgermeister dann gemeinsam, auch noch das Ahr-Örtchen Rech (550 Einwohner) in den Kreis der Spendenempfänger mit aufzunehmen – eine fünfte Gemeinde also. Rund 300000 Euro werden nun an die Opfer in Rech fließen. „Wir sind überwältigt von dieser Großzügigkeit“, bedankt sich Rechs Bürgermeister Dominik Gieler bei seinen Kollegen und vor allem bei den VRM-Lesern: „Auch wir werden die Spendengelder so schnell wie möglich an die Betroffenen ausgeben.“
In Rech sind 140 von 250 Haushalten Opfer der Flut geworden. 13 Häuser wurden hier in der Flutnacht weggerissen, acht weitere später beseitigt. Gieler selbst, der sich bis Dezember von seinem Beruf als Kriminalkommissar im Polizeipräsidium Bonn hat freistellen lassen und als ehrenamtlicher Bürgermeister noch immer zehn bis zwölf Stunden täglich im Einsatz ist, hat bei dem Hochwasser seine Mutter verloren.
In Ahrbrück und Hönningen, die zuerst in den Genuss der Spendengelder kamen, ist ein Großteil der Mittel bereits verteilt worden. Den Kriterienkatalog dazu hatten die Gemeinderäte entworfen - gestaffelt nach sozialer Bedürftigkeit, nach Anzahl der Haushaltsmitglieder und nach der Frage, ob die Opfer versichert waren oder nicht. 1000 bis im Höchstfall 10.000 Euro wurden hier vergeben. Zur Zeit arbeitet der Gemeinderat an der Verteilung einer zweiten Tranche. Nachdem die Hausbesitzer über ihre Versicherungen oder die staatlichen Hilfe einen Großteil ihrer materiellen Schäden begleichen können, sollen nun auch vermehrt Mieter in den Genuss der Spendengelder kommen.
Die Mieter haben zwar nicht ihre Häuser verloren aber häufig ihre kompletten Einrichtungen. „Wir haben gelernt, dass wir da nachbessern müssen“, sagt Bürgermeister Walter Radermacher, der die Hilfsaktion in enger Abstimmung mit der Chefredaktion der VRM-Zeitungen entwickelt hatte. Hönningen und Altenahr wollen diesem Weg folgen. Und auch die gerade erst dazu gekommene Gemeinde Rech wird alle Erfahrungen in die Verteilung der ihr zugeteilten 300.000 Euro einfließen lassen.
Kirchsahr setzt die Spenden für die Dorfgemeinschaft ein
Einen anderen Weg geht die Gemeinde Kirchsahr. Die Dorfgemeinschaft unter den 400 Einwohnern ist so eng, dass alle Flutopfer einer Versammlung mit dem Gemeinderat entschieden haben, das Spendengeld nicht mehr für Ersthilfen in Anspruch zu nehmen. Die Bürger wollen die Spendensumme in Höhe von 450.000 Euro lieber in die Stärkung ihrer Dorfgemeinschaft investieren.
„Uns allen ist am wichtigsten, dass hier möglichst niemand wegzieht“, sagt Bürgermeister Stefan Zavelberg, der mit seinem Elektrobetrieb einer der wenigen Gewerbetreibenden im Dorf ist. Konkret geht es um den Bau eines Bürgerhauses mit einer Küche, die 200 Menschen versorgen kann. Ein Haus, das zu guten Teilen in Eigenleistung erstellt werden soll und in dem sich die Dorfbewohner mietfrei treffen und feiern können. Und zugleich ein Haus, das mit autarker Strom- und Wasserversorgung und 100 Feldbetten ausgestattet sein soll. Dass Kirchsahr nach der Katastrophe zehn Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten war, werden die Menschen hier nicht vergessen.
Der Bach im Ort, die Sahr, war von zwanzig Zentimetern Tiefe sintflutartig auf über sechs Meter angeschwollen und hatte nicht nur Strom-, Telefon- und Wasserleitungen weggerissen, sondern auch die beiden Zufahrtsstraßen zum Dorf. Wer den Wiederaufbau der Orte an der Ahr und in ihren Seitentälern kritisiert, dem sagt Zavelberg: „Wir müssen in Zukunft natürlich mehr Abstand zum Fluss und zu den Bächen halten. Aber in den deutschen Mittelgebirgen liegen fast alle Ortschaften an Bachläufen und in Flusstälern: Die können wir nicht alle entvölkern.“