Eine 75-jährige ehemalige Lehrerin aus der „Reichsbürger“-Szene ist in Sachsen festgenommen worden. Sie soll zu einer Terrorgruppe gehören, die Karl Lauterbach entführen wollte.
KARLSRUHE/MAINZ. Bei der älteren Frau, die am Donnerstag im Zusammenhang mit der mutmaßlich geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wegen Terrorverdachts festgenommen wurde, handelt es sich nach Informationen dieser Zeitung um eine pensionierte Lehrerin eines Gymnasiums in Mainz. Die 75-jährige Elisabeth R., die der „Reichsbürger“-Szene angehört, wurde 2006 in den Ruhestand versetzt und soll nicht mehr in Rheinland-Pfalz leben.
Vonseiten der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gab es für die Herkunft am Freitagnachmittag keine Bestätigung. Auf Anfrage dieser Zeitung erklärte ein Sprecher lediglich, die Beschuldigte sei an ihrem derzeitigen Wohnort im Landkreis Mittelsachsen festgenommen worden.
Ziel: Blackout und Lauterbach-Entführung
Am Donnerstag hatte die Behörde mitgeteilt, dass Elisabeth R. eine führende Position in jener staatsfeindlichen Gruppierung innegehabt habe, die bereits im April aufgeflogen war. Diese Gruppierung hatte es sich laut der Mitteilung „zum Ziel gesetzt, in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen und damit letztlich den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen“. Geplant war ein bundesweiter „Blackout“ durch Beschädigung oder Zerstörung von Einrichtungen zur Stromversorgung. Zudem sollte Minister Lauterbach, gegebenenfalls unter Tötung seiner Personenschützer, gewaltsam entführt werden.
Beamte des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz und der sächsischen Polizei nahmen die Beschuldigte nun fest, sie sitzt in Untersuchungshaft. Ihre vier mutmaßlichen Komplizen, allesamt wie Elisabeth R. Deutsche, waren schon am 13. April festgenommen worden. Sie kommen aus Neustadt an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz), Falkensee bei Berlin sowie aus den Kreisen Ammerland (Niedersachsen) und Landshut (Bayern). Knapp zwei Wochen nach der damaligen Festnahme übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen.
75-Jährige gehört zur Szene der „Reichsbürger“
Elisabeth R. verfolge eine Ideologie, die das Grundgesetz und die staatliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehne, erklärte die Bundesanwaltschaft. Vielmehr existiere nach ihren Vorstellungen das Deutsche Reich auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter. Deshalb sei die Bundesrepublik Deutschland mittels einer „konstituierenden Versammlung“ in ein autoritär geprägtes Regierungssystem zu überführen. Spätestens im Januar 2022 habe sich R. „zur Verwirklichung dieser Bestrebungen“ einer Gruppierung angeschlossen.
Diese habe sich in einen operativen „militärischen“ und einen „administrativen“ Zweig untergliedert, Elisabeth R. sei im administrativen Teil aktiv gewesen. Dort habe sie eine übergeordnete Stellung eingenommen „und Vorgaben gemacht, um die Pläne der Gruppierung voranzutreiben und zu koordinieren“, erklärte die Bundesanwaltschaft. Sie sei auch in Bemühungen eingebunden gewesen, Waffen und Sprengstoff für die Vereinigung zu beschaffen. „Wiederholt forderte sie zudem eine rasche Umsetzung des Vorhabens ein und äußerte diesbezüglich konkrete Terminvorstellungen“, erklärte die Bundesanwaltschaft. Zugleich sei die Beschuldigte „mit der Rekrutierung geeigneter gleichgesinnter Personen befasst“ gewesen und habe „auch selbst Gespräche für die Anwerbung potenzieller Vereinigungsmitglieder“ geführt.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen war die Frau Ende Oktober 2021 auch Teil einer Gruppe, die eine Andacht im Berliner Dom gestört hatte. Laut einem Bericht des rbb von damals waren dabei unter anderem antisemitische Parolen gerufen worden. Gegen die Frau und ihre Gesinnungsgenossen wurde ein Hausverbot ausgesprochen.
Vor Jahren Aberkennung der Pension
Der ehemaligen Mainzer Lehrerin war aufgrund ihres „Reichsbürger“-Gedankenguts schon vor Jahren das Ruhegehalt aberkannt worden. Dagegen setzte sie sich vergeblich juristisch zur Wehr. Erst im März dieses Jahres scheiterte ihre Klage vor dem rheinland-pfälzischen Oberverwaltungsgericht.
Die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Trier habe der ehemaligen Beamtin das Ruhegehalt aberkannt, „weil sie sich im Ruhestand aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigt habe“, erklärte das Oberverwaltungsgericht im März. Unter anderem hatte sie etwa zehn Jahre nach ihrer Pensionierung entsprechende Äußerungen in zwei von ihr veröffentlichten Büchern sowie in mehreren Schreiben an Behörden gemacht.
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Bei ihrer Berufung gegen die Aberkennung der Pension machte die ehemalige Beamtin unter anderem geltend, sie habe die Äußerungen als Wissenschaftlerin – sie ist Theologin – und „kritische Demokratin“ getätigt. Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung jedoch zurück. In den Äußerungen komme „geradezu eine Verachtung für den deutschen Staat und seine Institutionen zum Ausdruck“. In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland sei mehrfach von einem „Scheinstaat“ beziehungsweise „Nichtstaat“ die Rede, sowie von einem angeblichen Unternehmen mit Firmenstrukturen. Außerdem habe sie einen ehemaligen Bundespräsidenten als „Geschäftsführer“ und das demokratische Wahlsystem als „Partei-Wahldiktatur“ bezeichnet, erklärte das Oberverwaltungsgericht.