Kommentar zum Wahlergebnis: Das Ende einer Volkspartei

aus Bundestagswahl 2021

Thema folgen
Friedrich Roeingh. Foto:  Sascha Kopp
© Sascha Kopp

„Für die CDU-Zerstörung ist kein durchgeknallter Influencer verantwortlich“, kommentiert Chefredakteur Friedrich Roeingh das Ende der letzten verbliebenen Volkspartei in Europa.

Anzeige

REGION. Sehen Sie hier den Kommentar:

Den Kommentar können Sie hier nachlesen:

Anzeige

Was für ein Wahlergebnis. Auf den langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten folgt ein Paukenschlag. Es sind gleich zwei Entwicklungen, die die Bundesrepublik grundsätzlich verändern werden: Nummer 1: CDU und CSU haben ihren Anspruch als letzte verbliebene Volkspartei in Europa unwiederbringlich verloren. Nummer 2: Erstmals kommt es bei der Regierungsbildung nicht so sehr auf die Partei an, die am Ende den Kanzler stellen wird, sondern auf die vermeintlichen Juniorpartner Grüne und FDP.

Zur Union: Für die Zerstörung der CDU ist kein durchgeknallter Influencer verantwortlich. Das hat sie schon selbst geschafft. Sie hat sich erkennbar für den falschen Kanzlerkandidaten entschieden. Dabei ist Armin Laschet nicht nur Opfer seiner Ungeschicklichkeiten geworden. Seine Entscheidung für einen Wahlkampf ohne jede inhaltliche Profilierung war der zweite große Fehler. Das hat den Eindruck einer ausgelaugten Partei noch verstärkt. Markus Söder hat als Zündler an dieser historischen Schlappe genauso mitgewirkt – Fehler Nummer 3. Und Fehler Nummer 4: Mit rot-rot-grünen Schreckgespenstern mobilisiert man offenbar nicht mal mehr die sicher geglaubte Kernwählerschaft der Union, die in Teilen zu Olaf Scholz übergelaufen ist. Spätestens jetzt haben auch CDU und CSU ihre für selbstverständlich erachtete Bindekraft als Volkspartei verloren. Das ist das Ende einer Selbsttäuschung. Das Vertrauen der Bürger in Angela Merkel hat diesen grundsätzlichen Wandel lange verschleiert.

Grüne und FDP können sich ihren Kanzler aussuchen

Das zweite Ergebnis: Nicht die stärkste Partei nimmt das Heft des Handelns in die Hand. Die Dritt- und Viertplatzierten Grüne und FDP können sich gemeinsam ihren Kanzler aussuchen. Und zur Überraschung aller nehmen sie sich genau dies vor – allen Differenzen zum Trotz. SPD oder Union kommen erst wieder ins Spiel, wenn sich die beiden Antipoden des bürgerlichen Lagers verständigt haben – oder wenn sie sich gemeinsam entscheiden sollten, mit SPD und Union parallel zu sondieren. Auch das ist nicht ausgeschlossen, wenn sich die Union nicht doch noch zerlegt. Es wäre das wirksamste Mittel, um die sogenannten Großen klein zu halten.

Anzeige

Für den Aufbruch einer neuen Bundesregierung in einer Zeit des permanenten Wandels kann das nur ein Gewinn sein. Weil beide kleinere Parteien vor allem unter den jungen Wählern erfolgreich waren, die zukunftsorientierter denken – müssen. Wenn Grüne und FDP es schaffen, sich gegenseitig strategische Felder der Profilierung zuzugestehen, kann das für dieses Land nur ein Gewinn sein. Die Grünen beim Kampf gegen den Klimawandel, bei dem inzwischen sogar die Industrie der Politik enteilt ist. Die FDP bei der Modernisierung des Staates und als Hüterin marktwirtschaftlicher Prinzipien. Tatsächlich kann man Grünen und FDP eher zutrauen, den Reformstau in Deutschland aufzulösen als SPD und CDU/CSU, die das in den vergangenen acht Jahren schlicht ausgesessen haben. Und beide Gesprächspartner scheinen zu erkennen, dass hierin für sie die wahre Chance dieser Wahl liegt: Die Grünen und die Liberalen dauerhaft als zwei von vier politischen Kräften zu etablieren, die künftig auch die Richtlinien der Politik in Deutschland selbstbewusster mitbestimmen werden.

Auf welchen Kanzler am Ende die Wahl fällt, scheint da schon fast zweitrangig zu sein. Das ist natürlich eine Täuschung. Schon deshalb, weil auch der Takt einer künftigen Regierung von globalen Krisen bestimmt werden wird. Schwer vorstellbar, dass die Rolle dieses Krisenmanagers Armin Laschet einnehmen kann. Schwer vorstellbar auch, dass die Union nach dieser historischen Schlappe wirklich stillhalten wird. Für ihre Erneuerung braucht sie nicht nur neue Köpfe. Aber ohne einen neuen Kopf an der Spitze der CDU wird es nicht gehen.