2021 gingen Ugur Sahin, Özlem Türeci und Katalin Karikó leer aus. Doch die Karten sind neu gemischt. Heute werden die ersten Preise verkündet.
MAINZ/STOCKHOLM. Wer für einen der Nobelpreise nominiert ist, gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen auf diesem Planeten. 50 Jahre bleiben die Unterlagen unter Verschluss. Selbst die Laureaten, wie die Preisträger genannt werden, erfahren erst kurz vor der offiziellen Mitteilung, dass sie die vielleicht weltweit begehrteste Auszeichnung erhalten. Per Telefonruf.
Viele Wissenschaftler, die als heiße Kandidaten gelten, säßen stundenlang vorm Telefon und warteten auf den Anruf aus Stockholm, wird erzählt. Ein Anruf, der den Aufstieg in den Wissenschaftsolymp bedeutet. Und ein Preisgeld von rund einer Million Euro.
Wer in diesem Jahr die bedeutendste wissenschaftliche Auszeichnung erhält, entscheidet sich in dieser Woche. Den Anfang macht am Montag der Medizin-Nobelpreis, die Verkündung ist ab 11.30 Uhr in Stockholm geplant. Am Dienstag, 4. Oktober folgt der Physik- (ab 11.45 Uhr), am 5. Oktober der Chemienobelpreis (ab 11.45 Uhr). Zudem folgt am Donnerstag (ab 13 Uhr) die Bekanntgabe des Literaturnobelpreises, am Freitag (11 Uhr) der Friedensnobelpreis. Die Wirtschaftswissenschaften beschließen den diesjährigen Nobelreigen dann am darauffolgenden Montag (ab 11.45 Uhr).
Wie lief es im vergangenen Jahr?
Im vergangenen Jahr gab es im Vorfeld der Nobelpreisverkündungen großen Wirbel um Ugur Sahin, Özlem Türeci und die ungarische Bio-Chemikerin Katalin Karikó. Der Biontech-Impfstoff wurde im weltweiten Kampf gegen Corona, mit Ausnahme von China, bislang mit Abstand am meisten verimpft. Milliardenfach. Was den Blick auf die neue Technologie der Boten-RNS (englisch Messenger RNA oder mRNA) lenkte - und damit auch auf drei Köpfe von Biontech: Vorstandschef Sahin, seine Frau und Medizinvorständin Türeci sowie Karikó, die als Senior Vice President bei Biontech ein eigenes Forschungsteam leitet. Karikó wird wegen ihrer jahrzehntelangen Grundlagenforschung als „Mutter“ der mRNA-Impfstoffe von Biontech und des US-Konkurrenten Moderna bezeichnet.
Die drei Biontech-Macher wurden vergangenes Jahr sowohl für den Medizin-, als auch den Chemie-Nobelpreis hoch gehandelt. Denn die mRNA-Technologie ist ein neuer Zweig der Bio-Chemie. Doch Türeci, Karikó und Sahin gingen leer aus. Dieses Jahr ist es ruhig um sie. Noch, möchte man sagen. Denn nur, weil sie 2021 nicht zum Zuge kamen, heißt das nicht, dass es auch in diesem Jahr nicht klappt. Denn in der Regel erhalten die betreffenden Wissenschaftler die Ehrung zeitversetzt zu ihren Entdeckungen, nicht selten viele Jahre später. Auch wenn Preisstifter Alfred Nobel verfügt hatte, dass die jeweilige wissenschaftliche Entdeckung der Menschheit im Jahr vor der Auszeichnung den größten Nutzen erwiesen haben müsse. Vergangenes Jahr waren mit Klaus Hasselmann in Physik und mit Benjamin List in Chemie gleich zwei Deutsche unter den Preisträgern gewesen.
Wie treffsicher sind Prognosen?
Wer sich im Vorfeld der Nobelpreis-Vergabe dazu hinreißen lasse, eine Prognose abzugeben, liege am Ende falsch, heißt es in der Literatur zum Nobelpreis. Prognosen werden daher kaum gestellt. Es gibt allerdings eine Institution, die sich das im größeren Stil traut und auch ernst genommen wird: das zum US-Datenanalysekonzern Clarivate gehörende Institute for Scientific Information (ISI). Seit nunmehr 20 Jahren benennt es Nobelpreis-Favoriten, deren Arbeiten in hochrangigen wissenschaftlichen Publikationen besonders häufig veröffentlicht beziehungsweise zitiert wurden.
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Bis 2021 lag das ISI bei knapp 380 genannten Kandidaten immerhin mehr als 60 Mal richtig, zuletzt im vergangenen Jahr mit dem Italiener Giorgio Parisi, der den Physik-Nobelpreis erhielt. Allerdings tauchen sowohl in der letzt- als auch diesjährigen Prognose weder Sahin und Türeci noch Karikó auf. Doch auch das müsse nichts heißen, denn das Nobelpreis-Komitee sei immer für eine Überraschung gut, sagten Insider.
Wie sieht es in diesem Jahr aus?
Die drei Biontech-Macher wurden im vergangenen Jahr für ihre Verdienste um die Wissenschaft und den Schutz der Menschen vor Corona mit Preisen förmlich überschüttet. Darunter waren auch Auszeichnungen, deren Träger später in manchen Fällen auch den Nobelpreis erhielten. Dazu gehört beispielsweise der Paul-Ehrlich-Preis, der an Sahin und Türeci ging. Karikó wiederum bekam zusammen mit ihrem langjährigen Forschungsweggefährten, dem US-Immunologen und Mikrobiologen Drew Weissmann, zum einen den Rosenstiel Award, zum anderen den Lasker Award, der auch als Nobelpreis der USA bezeichnet wird.
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Und für Karikó und Weissman geht es in diesem Jahr weiter. So wurden sie im Juni mit dem hoch dotierten (Preisgeld umgerechnet rund eine Million Euro) und vom taiwanesischen Geschäftsmann Samuel Yin gestifteten Tang Prize ausgezeichnet, zum anderen erhielten Karikó und Weissman kürzlich den renommierten Canada Gairdner International Award. Ein Wissenschaftspreis, der in Kanada als „Vorbote des Nobelpreises“ angesehen wird.
Als heiße Kandidaten für den Medizin-Nobelpreis sieht das ISI dieses Jahr den Neurowissenschaftler Masato Hasegawa vom Metropolitan Institute of Medical Science in Tokio, die Alzheimer-Forscherin Virginia Man-Yee Lee (University of Pennsylvania) oder die Genom-Spezialistin Mary-Claire King (University of Washington). Für die Ehrung in Chemie hat das Institut unter anderem die Professorin für Chemie-Ingenieurwesen Zhenan Bao (Stanford University) sowie die Molekularbiologen Bonnie L. Bassler (Princeton University) und E. Peter Greenberg (University of Washington) auf der Liste.