Die neue Freiheit auf zwei Rädern

Steht inzwischen auch bei jüngeren Leuten hoch im Kurs: das Mountainbike als E-Bike. Foto: Frank Rademacher

Noch vor wenigen Jahren war das E-Bike etwas für ältere Herrschaften. Im Jahr der Corona-Pandemie müssen Fahrrad-Händler Überstunden machen, um die Nachfrage zu befriedigen.

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. Haiger/Herborn. Die Auflagen im Zuge der Corona-Pandemie haben das gesellschaftliche Leben über Wochen stark eingeschränkt - und zugleich haben sie eine Freiheit massiv verstärkt: die auf zwei Rädern.

Noch nie sind so viele Pedelecs, mit einem Elektromotor ausgestattete Fahrräder, die landläufig als E-Bikes bezeichnet werden, verkauft worden. Und ein Abflauen der Nachfrage ist kaum abzusehen.

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Was passiert da gerade auf unseren Straßen und Radwegen? "Viele hatten ohnehin vor, sich ein E-Bike zu kaufen", sagt Rainer Müller von der "Bike-Garage" in Haiger. "Und weil sie wegen Corona in diesem Jahr vielleicht nicht in den Urlaub fahren, haben sie den Kauf vorgezogen", beschreibt er den Corona-Effekt auf den Fahrradhandel.

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Mittelhessens schöne Landschaft lädt zum Radeln ein

"Wir haben hier ja auch alles vor der Haustüre, Berge und eine wunderschöne Landschaft", sagt Müller - beste Voraussetzungen dafür, den Urlaub auf dem Rad und in heimischen Gefilden zu verbringen.

Frank Peter Schneider von Schneider-Sports in Herborn kann das voll bestätigen. Vor Kurzem habe sich ein Ehepaar zwei E-Bikes gekauft für zusammen rund 10 000 Euro. Und an der Kasse hätten die beiden lächelnd erzählt: "Das war jetzt unsere USA-Reise."

Dazu dürfte ein zweiter Corona-Effekt kommen: Nach Wochen eingeschränkter sozialer Kontakte ist das Bedürfnis, etwas gemeinsam zu unternehmen, besonders groß. Und da bietet eine Radtour mit der Familie oder Freunden nicht nur Geselligkeit mit einem gewissen Abstand, sondern auch gleich noch jede Menge frischer Luft.

Schneider sieht in der Corona-Pandemie aber lediglich eine zusätzliche Verstärkung. Der eigentliche Erfolg der Elektroräder rührt aus seiner Sicht aber aus einem anderen Grund. "Es ist der Imagegewinn, den das Rad in den letzten Jahren gemacht hat", sagt er und wird noch deutlicher: "Nicht mehr das Auto ist schick, sondern das Fahrrad!" Insbesondere das E-Bike sei in Mode gekommen. "Ich kaufe mir ein tolles Fahrrad", laute heute für viele Kunden die Motivation.

Leasing ist ein Teil der Erfolgsgeschichte

Mit zur Erfolgsgeschichte der E-Bikes habe auch die Möglichkeit beigetragen, das Rad über die Firma zu leasen. Das werde von vielen Unternehmen inzwischen angeboten und erleichtere die Kaufentscheidung angesichts der nicht ganz niedrigen Preise, sagt Rainer Müller.

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Der besondere Renner, das bestätigen beide, sind die elektrifizierten Mountainbikes. Die seien im Moment praktisch ausverkauft, berichtet Schneider und kann sich zugleich noch sehr genau an seinen ersten Kontakt mit dieser Form des E-Bikes erinnern. "Das war am 11. November 2014", weiß er genau.

Da habe ein Vertreter ihm und seinem Bruder zwei Prototypen dagelassen - und sie gewissermaßen "angefixt". Die Begeisterung hat bei ihm seit der ersten Tour nicht mehr nachgelassen.

Dass in der Region vor allem die geländegängigen Räder nachgefragt werden, hänge zweifellos auch mit der Topografie zusammen, erläutert Müller. An steilen Anstiegen mangelt es zwischen Greifenstein und Rittershausen ja nun wahrlich nicht.

Sportliche Optik ist beim Bike besonders gefragt

Die Kunden wünschten sich vor allem ein "flottes Fahrrad", berichtet Frank Peter Schneider. Gefragt sei eine sportliche Optik, später werde es dann häufig wieder etwas bequemer umgebaut.

Vor zehn Jahren habe sich ein etwa 65-jähriger Kunde ein E-Bike bei ihm gekauft, mit tiefem Einstieg, wie er damals Standard war. Ein Rad für Senioren. Zehn Jahre später schaue der nun 75-Jährige nach einem flotten Rad, das dann mit Schutzblech und bequemerem Sattel ergänzt werde.

Und, das bestätigten Müller und Schneider, die Altersstruktur der Kunden hat sich gewandelt. Das E-Bike sei inzwischen bei den jüngeren Leuten angekommen, was auch mit dem veränderten Image zu tun habe.

Ein anderer Wandel setzt in der Region erst langsam ein, der in größeren Städten schon voll im Gang ist. In Wiesbaden etwa sei das Rad inzwischen die Nummer eins für den Nahverkehr geworden und habe die Busse abgelöst, berichtet Schneider.

Hierzulande sehe die überwiegende Mehrheit das E-Bike noch als Sportgerät für die Freizeit. Eine Ausnahme stelle da die Lehrerschaft dar, berichtet er.

Am Ende kommt es beim gemeinsamen Radeln auf "Waffengleichheit" an

So richtig Freude kommt beim gemeinsamen Radeln allerdings erst auf, wenn "Waffengleichheit" hergestellt ist. Die Mit-Radler ohne motorisierte Unterstützung bekommen spätestens an der ersten längeren Steigung den Frust, wenn die E-Bike-Pedaleure weiter munter plaudern und das Tempo aus dem Flachen einfach beibehalten. Und dann folgt, was Schneider so umschreibt: "Die haben richtig Junge gemacht!"

"Das war ja irre", blickt er auf den Ansturm zurück, den es seit dem Frühjahr auf E-Bikes gibt. "Die Werkstatt ist extrem voll", sagt auch Rainer Müller und spricht damit für alle Fahrradhändler.

Derweil kommen die Lieferanten mit der Produktion nicht mehr hinterher. "Wer heute etwas bestellt, muss in der Regel bis September warten", sagt Müller.

Und für Einsteiger haben Müller und Schneider noch folgende Tipps: Ohne Helm geht es gar nicht und auch nicht ohne eine Probefahrt. Die Rahmenhöhe sollte passen und der Sattel keine Schmerzen verursachen. Ein wichtiges Kriterium sei die Reichweite, die der Akku ermögliche.

Wer längere Zeit mit dem Radfahren pausiert habe, solle am Anfang erst ein wenig üben, etwa das Auf- und Absteigen und auch das Schalten. "Da kennt jeder einen einsamen Wald- oder Wiesenweg in seiner Nähe", rät Frank Peter Schneider.