Reime für eine poetische Pflege

Der Poetry-Slammer Lars Ruppel ist Erfinder des Alzheimer-Poesie-Projektes "Weckworte". In der Demenz-Fachtagung in Aßlar hat er den Pflegekräften Beispiele gegeben.

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ASSLAR/WETZLAR/DILLENBURG. Der Poetry-Slammer Lars Ruppel ist Erfinder des Alzheimer-Poesie-Projektes "Weckworte". In der Demenz-Fachtagung in Aß;lar hat er den Pflegekräften Beispiele gegeben.

Mit den "Weckworten" will Ruppel die kulturelle Arbeit in der Pflege fördern, dazu hält er Vorträge und bildet Pflegekräfte weiter. Die Menschen in den Heimen hätten eine kulturelle Biografie, könnten aber nicht mehr selbst entscheiden, beispielsweise ins Theater zu gehen. "Da ist so ein riesiges Publikum", sagt er. Zwar gebe es in der Pflege wichtigere Probleme als Gedichte vorzutragen, aber: "Die Pflege muss ein Ort sein, wo Menschen auf beiden Seiten des Bettes Spaß; haben."

In Aß;lar trug er unter anderem Kinderreime vor und erklärte: "Wir haben als Kinder so viele Reime gehört – sie sind so wichtig, wenn man epochal vergisst." Und: "Die Sprachfreude ist in uns drin." Sie werde oft von Bildschirmen abgelenkt, müsse aber nur geweckt werden. Den Pflegekräften empfahl er: "Gestalten Sie den Alltag poetisch!" Er lieferte ein Beispiel fürs Kaffeetrinken: "Unser Kaffee, kaum zu fassen, 13 Bohnen, 14 Tassen."

Herr Ruppel, was verbindet Sie mit dem Thema Demenz?

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Lars Ruppel: Nur mein Job. Über meinen Beruf als Poet habe ich die Arbeit mit Menschen mit Demenz kennengelernt. Das hat mein berufliches Arbeitsfeld erweitert und ist für mich auch eine neue Einkommensquelle – mit einem sehr positiven Nebeneffekt: dass man etwas in Pflegeeinrichtungen bewegt.

Wie arbeiten Sie mit Demenzkranken?

Ruppel: Ich mache eigentlich mehr mit Pflegekräften. Ich zeige ihnen, wie sie Geschichten für Menschen mit Demenz vortragen. In Schulungen. Und dann wenden sie es hoffentlich im Pflegealltag an.

Aber tragen Sie selbst auch Gedichte vor demenzkranken Menschen vor?

Ruppel: Nein, gar nicht.

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Dann sehen Sie auch nicht die Reaktionen der Menschen auf die Gedichte?

Ruppel: Das schon. Ich mache Workshops mit Pflegekräften, zeige ihnen, wie es geht und dann tragen sie Menschen mit Demenz Gedichte vor.

Wie reagieren Demenzkranke darauf?

Ruppel: Manchmal aggressiv, manchmal traurig, manchmal gut, manchmal euphorisch. Da ist alles dabei. So ist das halt bei Menschen mit Demenz.

Sind solche Reaktionen ein gutes Zeichen?

Ruppel: Hier gelten andere Maß;stäbe. Man hat einen Impuls gesetzt und etwas vorgetragen. Wenn es gut ankommt, ist es gut, wenn nicht, hat man es immerhin versucht.

Gibt es eine besondere Wirkung von Gedichten auf demenzkranke Menschen?

Ruppel: Gefühlt: Ja! Aber es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis.

Wenn es nicht nachweisbar ist, warum wollen Sie dennoch, dass Pflegekräfte Gedichte vortragen?

Ruppel: Es ist nicht nachgewiesen, weil noch keiner ein EEG (die Elektroenzephalografie ist eine Untersuchungsmethode, um Hirnaktivitäten zu messen; Anm. d. Red.) gemacht hat; Kultur kann man auch nicht messen. Aber es muss etwas im Bereich Pflege getan werden.

Sie haben in Ihrem Vortrag vor den Pflegekräften den Philosphen Ludwig Wittgenstein zitiert: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Lässt sich das auf Demenzkranke übertragen?

Ruppel: Ja. Das kann man sehr gut übertragen. Deshalb ist es wichtig, mit diesen Menschen sprachlich zu arbeiten.

Hat die Arbeit im Bereich Demenz bei Ihnen etwas ausgelöst oder verändert?

Ruppel: Ich hatte vorher keine Ahnung von dem Thema. Durch die Arbeit habe ich gesehen, wie schlimm es ist und wie schlimm es um die Situation der Pflege steht, dass es nur durch den persönlichen Einsatz der Pflegekräfte am Laufen gehalten wird.

Zur Person: Lars Ruppel

Lars Ruppel (33) ist der bekannteste Poetry-Slammer in Deutschland (Poetry-Slam: Poesie-Wettstreit). Er war mehrmals deutscher Meister und für das Goethe-Institut bereits im Sudan, in den USA und in Indien tätig. Ruppel stammt aus der Wetterau, aus dem Münzenberger Stadtteil Gambach. Inzwischen wohnt er in Berlin – "der Liebe wegen". Seine Gedichte schreibt er nach eigenen Angaben ausschließ;lich am Laptop während Zugfahrten. (jli)