Militär-Münchhausen im Rückzug, Sozialdemokraten mit falschem Bart und lohnende Raserei: In und um Hessen macht sich die Lüge breit. Das ist heute wichtig.
Hessen. „Is this the real life? Is this just fantasy?“ hebt die „Bohemian Rhapsody“ an, in deren Verlauf ein furchtbares Geständnis von Freddie Mercury gesungen wird. „Wahr oder gelogen?“, heißt es etwas froher gestimmt bei Käpt’n Blaubär. Von der Realität und ihrer Vortäuschung handelt auch dieser Newsletter, dem im Licht der Tages-Themen wohl wieder mal die heitere Note abhandenkommen wird.
Für ein paar Aaah und Oooh sollte es reichen. Oder wussten Sie, was ein Handelsblatt-Korrespondent so in seiner Freizeit treibt? Was die vermeintliche Armee-Leute-Partei AfD im Verborgenen über die Bundeswehr schreibt? Warum schnelle Autos in unserer tempolimitierten Zeit gerade für Verbrecher von unschätzbarem Wert sind? Oder wer alles ohne Expertise und ohne Anstand seinen Senf zu Russlands Angriffskrieg dazugeben darf?
Ein paar Fragen werden sogleich beantwortet. Eine nicht: War der kleine Typ mit dem wächsernen Gesicht, der in der Dunkelheit kurz durch die besetzten ukrainischen Gebiete schnürte, wirklich Wladimir Putin? Oder einer der angeblich in Scharen eingesetzten Doppelgänger, die im Wesentlichen zweierlei können müssen: finster dreinschauen und finsteren Quatsch erzählen? Aus der Tiefe des Raums rief eine Frau in Richtung Putin: „Das ist alles nur Show!“. Wenn es nur so wäre.
TOP 3 DES TAGES
Falsche Balance
Und wenn die von mir geschätzte Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ nur dabei geblieben wäre, kontroverse Beiträge zu politischen Themen abzudrucken. Und nicht abseitige. Was eine False Balance ist, wo der lobenswerte Vorsatz, beide Seiten zu hören, aufhört und der Leichtsinn beginnt, Märchenerzähler ernst zu nehmen, zeigt das Heft vom 6. März. Drei Autoren, darunter ein Vorstandsmitglied des „Deutsch-Russischen Forums“, dürfen darin das Lied anstimmen von den wahren Angreifern USA und Nato und von der Ukraine, die letztlich selber schuld sei.
Die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies fasst treffend zusammen: „Der übliche koloniale und ignorante Mist über die Ukraine: gespalten, künstlich, korrupt, von Oligarchen kontrolliert.“ Sie ist im selben Heft vertreten mit einem Aufsatz über die nicht beginnen wollende Zeitenwende der SPD, der das Kind bei Namen nennt: Russland hat die Ukraine überfallen, nicht umgekehrt.
Die Expertin hat sich in einem Punkt selbst angreifbar gemacht, indem sie regelmäßig zu Pro-Ukraine-Kundgebungen aufruft. Das ist aller Ehren wert, macht es aber Gegnern leicht, sie als Aktivistin abzuqualifizieren.
Genau dies hat Erich Vad schon selbst gemacht, etwa, als er sich mit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer auf eine Bühne stellte. Den Zeitraum seit dem 24. Februar 2022 hat der ehemalige Militärberater von Angela Merkel genutzt, um unentwegt zu erklären, warum die Ukraine demnächst besiegt sein werde und warum ihr diese und jene Waffen besser nicht geliefert werden sollen. Das war zum großen Teil „spektakulär falsch“, wie sogar die entlegenen Meinungen zugeneigte „Neue Zürcher Zeitung“ unkte. Eben diesem Blatt sagte Vad nun: „Das ist mein letztes Interview. Es ist vorbei.“
Schade, werden zumindest diejenigen denken, die sich am Abstieg des Generals zum sogenannten Meme ergötzten, zum Immer-falsch-Propheten der Militärgeschichte. Kostprobe: „Das Pferd können Sie reinlassen. Das ist ungefährlich.“ (Erich Vad angeblich im Trojanischen Krieg)
Da der Ukraine-Block nun sowieso aus dem Leim gegangen ist, lasse ich Ihnen noch dieses gallige Video über Putins „militärische Spezialoperation“ aus einer ukrainischen Propaganda-Schmiede da: Russische Truppen als „Isis auf Steroiden“ und andere gelogene Wahrheiten lassen zumindest mir das Lachen im Halse stecken.
Falscher Bart
Zumindest ist es nicht abgedrehter als die Geschichte, die uns der Berliner „Tagesspiegel“ dieser Tage erzählt hat. Mit falschem Bart und falschem Namen (Matthias Brückmann statt Mathias Brüggmann) hat ein Mitarbeiter des honorigen „Handelsblatts“ jahrelang bei der Berliner SPD mitgemischt. Hin und wieder hat Brüggmann auch über die Partei berichtet, die sein Mr. Hyde Brückmann auf Linkskurs zu trimmen versuchte.
Jetzt nicht mehr, sein Arbeitgeber hat ihn beurlaubt. Aber der zu markigen Formulierungen neigende Kollege hat nach Angaben des Blatts noch andere Sachgebiete: „Er interessiert sich besonders für Osteuropa, die arabische Welt und Iran“, heißt es auf der Website. Das können die Dingsmänner ja unter sich aufteilen.
Falscher Fuffziger
Womöglich lohnt sich auch mal ein Bericht über die AfD, die es ja ebenfalls ziemlich hat mit Identitäten. Die „Tagesschau“ jedenfalls hat es sich nicht nehmen lassen, das kleine Leck in einer Chatgruppe auszuschöpfen, in welcher der stellvertretende Parteichef Peter Boehringer frei von der Leber weg den von der AfD so sehr geschätzten Klartext schreibt. „Wir dürfen diesem KOMPLETT verdorbenen und voll politisierten woken System bis in die mittleren Offiziersränge hinein […] erst nach einem VÖLLIGEN NEUSTART Geld zur Verfügung stellen“, merkt der Mann zur Bundeswehr an.
Das ist schon deswegen ein gefundenes Fressen, weil erst kürzlich ein Podcast aufgesetzt wurde mit dem Titel „AfD: Die einzige Partei, die sich für die Bundeswehr einsetzt“. Im Prinzip ist das auch so, heißt es von Radio Eriwan und Peter Boehringer mit Verweis auf die der Bundeswehr versprochenen Milliardenbeträge. Aber: „Man würde nur Kiew aufrüsten, die amerikanische Rüstungsindustrie reich machen und einigen woken Einhörnern und Transen in der BW geile Partys finanzieren.“ Ääähm, das kommentieren wir mal mit den unsterblichen Worten, die Edward Garlick im Film „Good Morning Vietnam“ für eine Zuschrift an seine Kollegen vom Militär-Rundfunk gefunden hat: „I have no idea what that means, Sir, but it seems very negative to me.“
ZU GUTER LETZT
Falscher Film
Gar kein Hessen heute? Doch, auch wenn die Leute, um die es geht, aus dem Bundesland und wahrscheinlich sogar aus dem Land rauswollten. Schon wieder wurde ein Bankautomat gesprengt, diesmal im Taunus. Freude darüber, dass endlich mal was los ist in Eppstein-Vockenhausen, wollte schon deshalb nicht aufkommen, weil die Täter mit einem Audi entkommen waren. Es wäre, teilt die Polizei mit, zu gefährlich gewesen, die Verfolgung aufzunehmen. Und so bewahrheitete sich das, was in der Ukraine hoffentlich als falsch entlarvt wird: Rücksichtslosigkeit und Raserei lohnen sich.
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