Marcel Baumgartner, Vorsitzender der Peter-Kurzeck-Gesellschaft, spricht über die literarische Wanderung am Samstag, den Reiz der Hörbücher und Titel für Einsteiger.
Von Björn Gauges
Lollar - wie es Peter Kurzeck sah und beschrieb. Links zu sehen ist das mittlerweile abgerissene Rex-Kino im Jahr 1964. Rechts der heute dort befindliche Parkplatz, auf dem der literarische Spaziergang startet. Fotos: Peter-Kurzeck-Gesellschaft, dpa
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LOLLAR - Der Schriftsteller Peter Kurzeck (1943-2013) hat seine mittelhessische Heimat Staufenberg in seinen autobiografischen Romanen immer wieder auf die literarische Weltkarte gesetzt. Aber auch Lollar wurde für ihn zum detailliert beschriebenen Schauplatz von Beobachtungen und Erlebnissen. Am morgigen Samstag lässt sich den Spuren dieses Mannes bei einer literarischen Wanderung folgen (siehe Kasten). Marcel Baumgartner, Vorsitzender der das Programm veranstaltenden Peter-Kurzeck-Gesellschaft, erzählt, wohin dieser Weg führt, was den Kurzeck-Sound ausmacht und welches Buch er Einsteigern empfehlen würde.
Herr Baumgartner, um welche Themen geht es morgen?
Lollar spielt neben Staufenberg eine zentrale Rolle im Werk Kurzecks, vor allem in "Vorabend". Das ist der letzte Band des mehrbändigen Romanprojekts "Das alte Jahrhundert", der noch zu seinen Lebzeiten erschienen ist. Als Staufenberger kam er oft durch Lollar, wenn er nach Gießen wollte. Deswegen war es ein zentraler Ort in seinen frühen Jahren. Und vor allem im "Vorabend" sowie im Hörbuch "Ein Sommer, der bleibt" erzählt er sehr viel von seinen Erlebnissen und Erfahrungen in Lollar.
Geben Sie uns ein paar Beispiele?
Es sind viele Orte, die heute verschwunden sind. Etwa das Kino Rex, wo wir den Spaziergang beginnen werden. Dann geht zur katholischen Kirche, zu der es im Hörbuch eine wunderbare Erzählung gibt. Da sitzt Kurzeck als Schüler in der Kirche, schildert ihre Farben wie die von Speiseeis und stellt sich vor, er würde sie aufessen. Völlig verrückt! In der Kirche werden wir diesen Ausschnitt aus dem Hörbuch zu Gehör bringen. Später geht es zur Holzmühle, auch dazu gibt es eine wunderbare Geschichte. Da erzählt er, wie er als kleines Kind mit seiner Mutter von Staufenberg aus mit einem Säckchen dorthin lief. In der Hoffnung, der Müller würde ihm ein bisschen Mehl schenken - doch er wurde abgewiesen. Das ist eine wahnsinnig traurige, aber auch schöne Episode, die ebenfalls beim Rundgang zu hören sein wird.
Lollar - wie es Peter Kurzeck sah und beschrieb. Links zu sehen ist das mittlerweile abgerissene Rex-Kino im Jahr 1964. Rechts der heute dort befindliche Parkplatz, auf dem der literarische Spaziergang startet. Fotos: Peter-Kurzeck-Gesellschaft, dpa
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Was taucht noch auf?
Eine wichtige Rolle spielt Buderus. Ein Schwager Kurzecks arbeitete dort. Es ganz viele Stellen im Werk, die von der Bedeutung des Unternehmens für Lollar erzählen. Beschrieben werden auch viele Geschäfte, an deren Schaufenstern Kurzeck vorbeiging. Heute existieren diese Läden praktisch allesamt nicht mehr.
Kurzeck gilt ja auch als besonderer Vorleser. So wird vermutlich der besondere Sound seiner Texte deutlicher?
Unbedingt! Manche Leute sagen: Ich kann diese Bücher nicht lesen - aber hören! Ich selbst habe den Zugang zu dieser Literatur über die Hörbücher gefunden. Wenn man die mal gehört hat, dann hat man den typischen Kurzeck-Klang im Kopf.
SPAZIERGANG
Zu einer literarischen Wanderung lädt die Peter-Kurzeck-Gesellschaft am Samstag, 11. September, ab 14 Uhr. Markus Lepper führt die Teilnehmer auf den Spuren des Schriftstellers durch Lollar und entlang der Lumda. Treffpunkt ist der Parkplatz vor Arif's Supermarkt (Gießener Straße 7). Die Dauer des Rundgangs beträgt etwa zweieinhalb Stunden. Markus Lepper hat seine Kindheit und Jugend in Lollar verbracht. Seit seinem Studium der Kunstgeschichte ist er als Kunstvermittler tätig. Für Fragen zum Programm steht Marcel Baumgartner, Vorsitzender der Peter-Kurzeck-Gesellschaft, zur Verfügung (info@peter-kurzeck-gesellschaft.de oder Telefon 07732 802 01 01). (red)
Was ist das Besondere an Kurzecks Prosa?
Zum einen die Sprache, sie hat etwas Musikalisches. Und inhaltlich die verschwundene Welt, die er als Flüchtlingskind erlebt hat und die er auf unglaublich eindrückliche Weise zum Leben bringt. Der Schauplatz ist Mittelhessen, aber man darf ihn nicht darauf beschränken. Denn Kurzeck leistet etwas Allgemeingültiges, das über die Orte hinausgeht. Zwei Bücher liegen mittlerweile auf Französisch vor. Und die Übersetzerin sagte dazu: Er schildert zwar Staufenberg, aber im Grunde genommen ist das die Welt. Seine Literatur ist also übertragbar auf andere Verhältnisse. Und genau das macht die Allgemeingültigkeit von Kurzeck aus. Man sollte ihn nicht zu sehr aufs Lokale beschränken.
Welchen Ton wählt er in seinen Romanen? Macht er uns Leser melancholisch, weil die darin beschriebene Welt verschwunden ist oder ist uns diese Welt mittlerweile fremd geworden?
Das ist subjektiv. Ich bin zehn Jahre jünger als er und mir ist diese Welt überhaupt nicht fremd. Für einen heute 20-Jährigen aber sieht das vielleicht vollkommen anders aus. Kurzeck schildert diese Welt aber auf eine Weise, auf die jemand, der sie nicht erlebt hat, einen absoluten Zugang finden kann.
Welche Bücher sollten Einsteiger zur Hand nehmen, wenn sie diesen schwierigen Schriftsteller kennenlernen wollen?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Das Buch, das ich am zugänglichsten finde, ist "Am Vorabend". Aber das Abschreckende für viele Leute ist wahrscheinlich: Es hat 1000 Seiten (lacht). Ein anderes Buch, in dem Staufenberg im Zentrum steht, ist "Kein Frühling". Ein nicht ganz so dicker Wälzer und vielleicht für den Einstieg gut geeignet.
Oder man nimmt am Samstag am Spaziergang durch Lollar teil ...
Auf jeden Fall! Ich kann mir vorstellen, das die Wanderung bei Leuten, die noch nicht mit Kurzeck in Kontakt gekommen sind, wirklich etwas öffnen kann.