Mit Kopfhörern auf den Ohren und einem Tablet in der Hand begeben sich die Besucher der Ausstellung in Angenrod auf eine Zeitreise. Am heutigen Samstag öffnet das Speier-Haus.
Von Anna Becker
Den Video-Rundgang mit Tablet und Kopfhörern durch das Haus Speier führen Gabriele Geiß und Joachim Legatis vor (Bild links). Eine Video-Sequenz mit einer Zeitzeugin (Bild rechts oben). Die erste Texttafel im Eingangsbereich - jüdische und nichtjüdische Angenröder Kinder spielen gemeinsam im Winter. Fotos: Becker
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AngenrodMit Kopfhörern auf den Ohren und einem Tablet in der Hand begeben sich die Besucher der Ausstellung im Haus Speier in Angenrod auf eine Zeitreise in den bunten Vogelsberg vor 1933. Durch Texttafeln, Bilder und Filme wird an insgesamt 15 Stationen Geschichte auf anschauliche Weise vermittelt. Jede der Stationen setzt den Fokus auf einen anderen Teilbereich des Lebens der Juden im Vogelsberg. Vom Zusammenleben im Dorf, über Feste und religiöse Gemeinsamkeiten, bis hin zu Antisemitismus, Ausgrenzung und Ermordung können sich Interessierte Wissen aneignen. Am heutigen Samstag öffnet die Ausstellung im Speier-Haus (Leuseler Straße 3 in Angenrod) nach drei Jahren Arbeit.
Vor allem Schulklassen und Konfirmanden gehören zu der Besucher-Zielgruppe. Aber auch die restliche Bevölkerung hat die Möglichkeit, die Ausstellung an einem Tag in der Woche zu besuchen. Geplant ist, sonntagnachmittags das Speier-Haus für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Für Schulklassen ist der Besuch besonders interessant, da "die große, allgemeine Geschichte" lokal veranschaulicht wird. Geschichte wandelt sich vom abstrakten, vergangenen Konstrukt in etwas Greifbares, das man noch heute erleben kann und dessen Auswirkungen immer noch spürbar sind. Kurze Videos dienen als Erklärungshilfe für die unterschiedlichen Stationen. Hierbei lernen die jugendlichen Besucher von Gleichaltrigen, denn in einem Teil der Filmbeiträge stehen Schüler der Max-Eyth-Schule im Mittelpunkt und vermitteln die Inhalte. Aber auch Zeitzeugensequenzen, die Rekonstruktion eines möglichen vergangenen Dialoges und Erklärclips, die die Texttafeln ergänzen, sorgen für Abwechslung während des Video-Rundgangs. Da jeder Besucher mit Tablet und Kopfhörern ausgestattet wird, können die einzelnen Stationen im individuellen Tempo durchlaufen werden.
"Wir wollen auf die kulturelle Geschichte des Vogelsbergs aufmerksam machen und zeigen, dass dieser ein Ort der Begegnung von Kulturen ist", erklärt Joachim Legatis. Er ist Vorsitzender des Vereins Gedenkstätte Speier Angenrod. Gabriele Geiß, die die Regie für die Museumsgestaltung und Konzeption übernahm, erläutert: "Das Speier-Haus bietet sich in besonderer Weise als Ausstellungsort an, da Mitte des 19. Jahrhundert in Angenrod die größte jüdische Gemeinde in Hessen/Darmstadt bestand". Das Haus werde auch als "Gettohaus" bezeichnet, da dort die letzten übrig gebliebenen Angenröder Juden zusammengepfercht wurden, bevor sie in Konzentrationslager deportiert wurden. In dieser Zeit habe Familie Speier, bestehend aus Leopold Speier, seiner Frau und ihren drei Kindern, das Haus bewohnt. "Alle Familienmitglieder - bis auf Sohn Ludwig - sind in Auschwitz gestorben", informiert Legatis. Ludwig Speier habe aus Deutschland fliehen können. So sei das Speier-Haus bis in die 2000er Jahre in jüdischem Besitz geblieben, da das Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verkauft wurde.
Allerdings sei es bis in die 1980er Jahre genutzt worden, zuerst als Flüchtlingsunterkunft, später dann als Wohnsitz. In den folgenden Jahren habe das Haus vor sich hin vegetiert und sei immer weiter zerfallen. "Seit dem Jahr 2015 hat der Verein Gedenkstätte Speier mit Hilfe der hessischen Denkmalpflege, der Stadt Alsfeld und weiteren Spendern das Haus gesichert und saniert. Nach Abschluss der Sicherheitsmaßnahmen kaufte der Vereine das Grundstück im Jahr 2018. Die Arbeit an der Ausstellung begann im Sommer 2019 und dauerte bis September 2020", blickt Legatis zurück. Doch nun ist es so weit. Das Museum ist fertig und wartet auf interessierte Besucher.