"Der Vulkan lässt lesen": ein Abend mit Lyrik von Mascha Kaléko im Alsfelder Martcafé.
Von Nadine Kalbfleisch
Alix Dudel und Sebastian Albert auf der Bühne im Alsfelder Marktcafé. Foto: Kalbfleisch
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ALSFELD - Zeitlos berührende Lyrik mit der Patina der Goldenen Zwanziger brachten Alix Dudel und Sebastian Albert im Alsfelder Marktcafé auf die Bühne: Am Donnerstagabend präsentierten die Berliner Sängerin und der Hamburger Gitarrist ihr Programm "Sozusagen grundlos vergnügt" mit Lyrik und Liedtexten von Mascha Kaléko. Eröffnet wurde die Lesung aus der Reihe "Der Vulkan lässt lesen" von OVAG-Pressesprecher und Veranstalter Andreas Matlé sowie Buchhändler Helmar Bünnecke, die sich über das große Interesse der Alsfelder an Kalékos Lyrik freuten: Mit rund 100 Zuhörern, die dicht gedrängt bis auf der Galerie saßen, war die Lesung sehr gut besucht. Dennoch herrschte zwei Stunden lang eine fast feierliche Stille, die viel Raum für die Wirkung der Texte ließ.
Alix Dudel brachte die Lyrik Mascha Kalékos mit ihrer warmen, dunklen Stimme auf besondere Weise zum Klingen. Sie rezitierte nicht nur mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik, sondern sang auch viele Gedichte im Timbre einer Hildegard Knef nach Melodien von Herbert Baumann. Untermalt wurde die fließende Melange aus Sprechen und Singen von Sebastian Alberts sanften spanischen Gitarrenklängen. Ob heiter, keck oder leise melancholisch - stets trafen die Sängerin und der Musiker den richtigen Ton des jeweiligen Textes. Immer wieder brachte Dudel ihr Publikum herzlich zum Lachen und steckte an mit einer Lebensfreude, die auch in Kalékos Lyrik trotz aller Sehnsucht durchklingt. Augenzwinkernde Klassiker wie "Kakadu", "Die kleine Angina" und "Horizontale Muse" wechselten ab mit Texten voller biografischem Zeitkolorit wie "Tagebuch 21. Juni 1941" oder "Unabgesandter Überseebrief". Das Publikum fand sich wieder in Gedichten wie "Ganz kleiner Schwips" oder "Alte Flamme bei Lichte gesehen" und tauchte ein in die Welt einer Alltagsphilosophin, die ganz Prosaisches mit Poesie verknüpfte und in deren Gedichten es gleichermaßen nach Bohnerwachs und Blumenblüten riecht.
Immer wieder bezog sich Alix Dudel auf die Lebensgeschichte Kalékos und ging in den Dialog mit der 1975 verstorbenen Autorin. Biografische Informationen und persönliche Assoziationen bildeten eine Mischung aus literarischer Geschichtsstunde und Liebeserklärung an das Lebenswerk Kalékos, deren Bücher von den Nationalsozialisten verboten wurden: Wer im Deutschunterricht einst geschlafen oder die Texte wieder vergessen hatte, lernte auf der Lesung eine große Literatin (wieder) kennen. 1907 in Chrzanòw in West-Galizien geboren, kam die gebürtige Golda Malka Aufen 1918 mit ihren Eltern nach Berlin und lernte dort ihren ersten Mann Saul Kaléko und später ihren zweiten Mann Chemjo Vinaver kennen. 1933 erschien ihr erster Gedichtband "Das lyrische Stenogrammheft" im Rowohlt Verlag, auf das unzählige weitere Gedichte folgen sollten. Kalékos Leben glich einer Achterbahnfahrt: Sie lebte in Frankfurt, Marburg und Berlin, heiratete zwei Mal und verlor einen Sohn, musste während der politischen Verhältnisse der späten 1930er aus Deutschland nach Amerika flüchten und lebte zuletzt in Israel und Zürich. "Was man so alles überlebt", lautet der Titel eines ihrer Gedichte. Treffender lässt sich ihr Leben wohl nicht zusammenfassen.
Kaum einer hätte dem Swing und Glamour, aber auch der Tristesse dieser Jahre besser Leben einhauchen können als Alix Dudel und Sebastian Albert. Das Künstlerduo harmonierte wie ein charmantes, nur sprichwörtlich altes Ehepaar, das sich leichtfüßig die literarisch-musikalischen Bälle zuspielte. Die Schauspielerin und Chansonsängerin Alix Dudel liebt den Stil der "Goldenen Zwanziger" und tritt unter anderem regelmäßig mit Programmen zur Neuen Sachlichkeit im Frankfurter Tigerpalast auf. Die Idee, ein Programm zur Lyrik von Mascha Kaléko aufzuführen, entsprang dem Wunsch ihres Verlegers zu dessen 80. Geburtstag. Seit über zehn Jahren schon tritt die Wahl-Berlinerin nun mit Kaléko-Texten auf und verleiht ihnen auch in Rundfunk-Aufzeichnungen ihre Stimme. Die Freude an der Lyrik strahlt der lebensfrohen Künstlerin aus den leuchtend blauen Augen, wenn sie Kaléko singt und rezitiert. "Mich fasziniert die Einfachheit und Klarheit ihrer Worte", erklärte Dudel den Reiz, den die Gedichte seit Jahrzehnten auf sie ausüben. "Mascha Kaléko war eine Philosophin der kleinen Leute. Das gefällt mir." Alix Dudel kennt "ihre" Dichterin in- und auswendig - und das im wörtlichsten Sinne: 45 Gedichte trägt sie im Rahmen des Bühnenprogramms "Sozusagen grundlos vergnügt" mühelos vor, ohne auch nur einmal in Notizen zu blicken. Am Ende ihres Auftritts dankt Dudel der Lyrikerin stets für die Lebensweisheit und Inspiration, die sie auch heute noch - über 40 Jahre nach ihrem Tod - für ihre Leser bereithält.
Das Publikum verließ die Lesung sichtlich berührt mit dem Bild einer Autorin, die den Weltschmerz sehr gut kannte und ihm charmant getrotzt hat. Kalékos Gedichte sind wie ein Tanz im Regen unter Gewitterhimmel: eine Liebeserklärung an das Leben mit all seinen Licht- und Schattenseiten.