Bekka und Deborah Fink sind aus Kalifornien nach Alsfeld gereist, um eine Gedenktafel an ihre Großeltern zu enthüllen. Die flohen 1939 vor dem Naziregime aus Hessen nach Amerika.
Von Andreas Ungermann
Freuen sich über die Einweihung der Gedenktafel für die Familie Steinberger (von links): Joachim Legatis, Bekka Fink, Stephan Paule, Norbert Schütz, Christa Kreuder-Schütz und Deborah Fink. Foto: Ungermann
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ALSFELD - Für die Schwestern Bekka und Deborah Fink ist es ein emotionaler Moment, als sie gemeinsam mit Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule (CDU) die weiße Gedenktafel mit blauer Schrift am Haus in der Hersfelder Straße 39 enthüllen. Bekka kann ein paar Tränen nicht unterdrücken und wird von ihrer Schwester in den Arm genommen. In der Familiengeschichte der zwei Frauen, die in Berkley in Kalifornien leben, hat das Gebäude eine starke Bedeutung, berichten sie. Ihre Großeltern lebten einst darin.
Es war die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als die Großmutter der Amerikanerinnen, Irma Levi (geborene Steinberger), nachts deren Mutter - damals nicht einmal ein Jahr alt - aus dem Kinderzimmer ins Elternschlafzimmer holte. "Als sie am nächsten Morgen in das Kinderzimmer kam, waren die Fenster demoliert, und ein großer Stein lag im Kinderbett", berichten die Finks. Es war die "Kristallnacht", das Haus der jüdischen Familie war an der Front beschädigt. Hätte Irma Levi ihre Tochter nicht im Elternschlafzimmer übernachten lassen, Doris wäre wohl durch den Stein getötet worden. Am nächsten Tag fällt für die Familie aus Alsfeld, die sich bis etwa in das Jahr 1769 auf einen Herz Steinberger aus Angenrod zurückverfolgen lässt, die Entscheidung, Deutschland zu verlassen. Die Flucht von Irma und Arthur Levi, die sich in der Textilfabrik kennengelernt hatten, führte 1939 zunächst nach Baltimore. Teile der Familie sind heute über die ganze Welt verteilt, weil Irmas Geschwister Martha und Alfred (Avraham) Steinberger nach Südafrika und Israel flohen.
An sie alle sowie an Leopold und Franziska Steinberger erinnert nun am Haus von Fahrrad Schütz die Gedenktafel mit der Aufschrift: "In Erinnerung an unsere geliebten Vorfahren, die über Generationen hinweg in Alsfeld lebten. Zum Glück konnten sie ihre Leben retten, indem sie Deutschland verließen, als die Nazis die Macht errangen." Unter den Namen sind die mahnenden Worte aus der Bibel, die Zusammenfassung des zweiten Teils der Zehn Gebote, zu lesen: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst" - abgefasst auf Englisch, Deutsch und Hebräisch. Gestaltet wurde die Tafel von einer Verwandten der Finks, die als Grafikdesignerin in Israel lebt und arbeitet.
Die Idee zu der Gedenktafel, die zum großen Teil von den Nachfahren der Familie Steinberger finanziert und vom Förderverein Jüdische Geschichte sowie der Stadt Alsfeld bezuschusst wurde, geht zurück auf einen Besuch von Ami Inball vor zwei Jahren. Der, so erinnert sich Joachim Legatis , sei von der Idee der Stolpersteine begeistert gewesen. Alsbald stellte Paule den Kontakt zu Joachim Legatis vom Förderverein Jüdische Geschichte her. "Mit den Stolpersteinen wird aber der Opfer gedacht, also der getöten", erläutert Legatis. Die Steinbergers jedoch waren dem Naziregime entkommen, und so wurde die Idee zu der Gedenktafel geboren. Als Legatis dann an die Hauseigentümer Norbert Schütz und Christa Kreuder-Schütz mit dem Ansinnen herangetreten sei, hätten diese sofort ihre Bereitschaft signalisiert.
Darin, was der Fördervereinsvorsitzende ausspricht, sind sich an diesem sonnigen Mittwochmorgen alle Anwesenden in der Hersfelder Straße einig: "Es ist wichtig, dass auch an die jüdischen Alsfelder erinnert wird. Und es ist immer wieder unsere Aufgabe, uns mit der Geschichte auseinanderzusetzen." Dazu gehöre es auch, wichtige, besondere Häuser herauszustellen.
"Um Geschichte erlebbar zu machen, muss sie sichtbar gemacht werden", ist Paule überzeugt. Die Geschehnisse in der Hersfelder Straße 39 in jener Novembernacht seien nicht nur ein Teil der Geschichte der Familie Steinberger und ihrer Nachkommen, sondern auch eben auch ein Stück Stadtgeschichte. Deshalb sei die Enthüllung der Tafel ein öffentlicher Anlass und nicht nur ein privater, unterstrich der Bürgermeister, der Stadtarchivar Dr. Norbert Hansen für die historischen Recherchen dankte. Zustimmung erhält Paule von Bekka Fink zu seinem Appell, Brücken zwischen den Kulturen zu bauen. Sie spricht davon, dass manches in der Welt nicht richtig laufe - gerade auch in ihrem Land, sagt sie in Anspielung auf US-Präsident Donald Trump.
Und bevor Bekka und Deborah Fink mit Paule und Vertretern des Fördervereins auf Tour durch die Alsfelder Altstadt gehen, bleibt noch ein Augenblick Zeit, um den Stammbaum der Familie Steinberger und alte Familienfotos zu betrachten. Die Schwestern werden übrigens nicht die Letzten sein, die die Stätte aus der Familienhistorie besuchen. Weitere Verwandte hätten schon angekündigt, nach Alsfeld kommen und die Tafel sehen zu wollen, sagen sie.