Schwalmradweg zwischen Heidelbach und Schrecksbach in desolatem Zustand. Der Lückenschluss ist jedoch aus Sicht der Nachbarkommune zu teuer.
Von Günther Krämer
Kaum zu befahren: Das Teilstück des Schwalmradweges oberhalb Heidelbachs in der Gemarkung Schrecksbach. Mitglieder der Vogelsberger und Schwalmstädter Umwelt- und Mobilitätsverbände ADFC, BUND und VCD beim Befahren des unbefestigten Teilstückes. Foto: Krämer
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HEIDELBACH/VOGELSBERGKREIS/SCHWALM - Heidelbach. Mit einem systematischen Ausbau der Radwege möchte das Land Hessen die Nutzung des Fahrrads im Alltag weiter stärken. Lücken schließen, einheitliche Beschilderung und Gestaltungsstandards sollen die bestehenden überörtlichen Radwege zu einem knapp 2900 Kilometer langen durchgängigen Rad-Hauptnetz vereinigen, das regionale und lokale Netze verknüpft. Die koordinierte Weiterentwicklung des Netzes macht das Fahrrad auch auf längere Entfernungen zu einer attraktiven Alternative. Das ist die Zielsetzung des Landes Hessen zur weiteren Verbesserung des Radverkehrs in vielerlei Hinsicht.
Diese Überlegungen scheinen aber in der Nachbargemeinde Schrecksbach noch nicht ganz angekommen zu sein. Anders kann man eine Entscheidung der Gemeindevertretung kurz vor Weihnachten 2019 nicht interpretieren, meinen Alsfelder Radenthusiasten um den ADFC Vogelsberg. Denn: Bei Stimmengleichheit lehnte das Gremium eine Vorlage des Gemeindevorstandes, den seit einigen Jahrzehnten als notwendig erachteten Ausbau des letzten unbefestigten und kaum zu befahren Teilstückes des Schwalmradweges in der Gemarkung Schrecksbach - oberhalb von Heidelbach - auf einer Länge von 700 Metern auszubauen, ab.
Recht "unglücklich" über diese Beschlussfassung ist Schrecksbachs Bürgermeister Andreas Schultheiß (parteilos). Schultheiß hat seit 2018 den Bewilligungsbescheid des Landes Hessen auf dem Tisch. 80 Prozent der Gesamtkosten und somit 160 000 Euro der 200 000 Euro kostenden Maßnahme wären gefördert worden. Die 40 000 Euro Eigenanteil waren der Gemeindevertretung jedoch zu viel. Sie versah den Titel mit einem Sperrvermerk und beauftragte den Gemeindevorstand eine Reduzierung der Gesamtkosten zu erreichen. Schultheiß erarbeitete daraufhin eine neue Variante. Hier hätten die Gesamtkosten auf 166 000 Euro reduziert werden können und somit der Eigenanteil auf 33 200 Euro. Aber auch das war den Gemeindevertretern noch nicht genug. Die Vorlage wurde erneut abgelehnt, obwohl sich der Haupt- und Finanzausschuss für die Annahme der Drucksache ausgesprochen hatte.
DER SCHWALMRADWEG
Der Schwalm-Radweg führt über eine Strecke von 104 Kilometern entlang des gleichnamigen Flusses von der Quelle bei Meiches bis zur Mündung in die Eder. Da der Weg abseits von stark befahrenen Straßen verläuft, kommt man ganz entspannt vorwärts. (gkr)
Radfahrer, die den Schwalmradweg nutzen, lassen das schlechte Teilstück meist aus und weichen auf die Landstraße aus, um hinter Heidelbach wieder auf den ausgebauten Radweg zu gelangen, weiß der Bürgermeister zu berichten. Durch die Hessische Gemeindeordnung (HGO) sei festgelegt, dass der abgelehnte Antrag erst wieder nach einem Jahr erneut zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Einzige Einschränkung: "Es gibt weitere und nachhaltigere Gründe in der Sache und bei der Finanzierung", so Schultheiß. Und genau darauf hofft er: "Ich bemühe mich selbstverständlich weiter, die Baukosten durch Gespräche mit Baufirmen zu reduzieren oder die Eigenmittel über Spenden und weiterer Zuschüsse Dritter zu minimieren." Wenn das gelinge, könne er der Gemeindevertretung darüber berichten und eine erneute Beschlussfassung herbeiführen. Der Gemeindevorstand halte den Ausbau weiterhin für richtig und wichtig - aus touristischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Gründen. Bereits Amtsvorgänger Erich Diehl (SPD) habe sich um den Radweg bemüht. Das Teilstück in der Gemarkung Schrecksbach auf dem über 100 Kilometer langen Schwalmradweg, sei mit weitem Abstand das schlechteste.
Für zu kurz gedacht hält Schultheiß damit auch die Ablehnung des Ausbaus, weil die Gemeinde Schrecksbach von den stetig steigenden Nutzerzahlen profitiere. Schultheiß möchte nicht aufgeben und seine Gemeindevertreter überzeugen, weil die Zeit drängt - die Frist der Verwendung der Fördermittel läuft am 31. Dezember 2020 ab. Wenn bis dahin nichts passiere, sei der Ausbau passé.
Nicht nur bei den Mobilitäts- und Tourismusverbänden herrscht über die Ablehnung Unverständnis, sondern auch bei der Radfahrgruppe VfB Schrecksbach, den Ortsbeiräten Heidelbach und Schrecksbach. Holger Dirlam vom VFB Schrecksbach sagt: "Wenn man Fahrrad-Tourismus haben will, dann muss man die Voraussetzungen dafür schaffen. Außerdem wird der Radweg auch im Alltag genutzt, um zur Arbeit nach Alsfeld zu fahren. Besonders gefährlich wird es, wenn man diesen Feldweg umfährt und auf die Landesstraße ausweicht. Hier sind schon zahlreiche Unfälle passiert."
Heidelbachs Ortsvorsteher Dietmar Hermann findet: "Der Ausbau dieses Teilstückes ist längst überfällig. Schon vor vielen Jahren hat der Ortsbeirat sowohl Bürgermeister Herbert Diestelmann (Alsfeld) und Bürgermeister Erich Diehl (Schrecksbach) bei einem Vor-Ort-Termin auf die Notwendigkeit hingewiesen. Seitens der Gemeinde Schrecksbach sind auch diesbezügliche Anträge zur Förderung gestellt worden, zur Ausführung kam es wegen einer geringen Förderung damals nicht", erinnert sich Hermann. Jetzt gebe es eine hohe Fördersumme, aber der Ausbau werde dennoch abgelehnt, obwohl nichts dagegen spreche. Klimaschutz, Radverkehr-Offensive und auch Unfallschutz müssten eigentlich Argumente genug sein. "Bei einem schweren Verkehrsunfall auf der parallel verlaufenden Landesstraße mit einer Radfahrerin, die genau dieses schlechte Teilstück des Schwalmradweges umfahren wollte, wurde sie beim Einbiegen auf den Schwalmradweg tödlich verletzt", erinnert sich Hermann.
Der Schrecksbacher Ortsvorsteher Volker Bernhard betont: "Viele Bürger aus Schrecksbach nutzen den Schwalmradweg und deshalb sollten wir gemeinsam überlegen, ob und wie wir die Situation jetzt noch hinbiegen können. Ich hoffe, wir finden gemeinsamen im zweiten Anlauf einen Weg für den Teilausbau des Schwalmradweges."
Heidrun Englisch vom Tourismusverband Rotkäppchenland sagt: "Es ist unstrittig, dass Radfahren sowohl im Alltag als auch im Tourismus immer stärker angenommen wird. Radfahrern bedeutet sanfter Tourismus, der durch gastronomische Angebote zur Einkehr und Übernachtung eine Wertschöpfung gerade in ländlichen Gebiete bringt. Vorraussetzung hierfür ist eine gute Radfahrinfrastruktur mit sicheren Radwegen abseits der Verkehrsstraßen, die die Radfahrer witterungsunabhängig nutzen können. Im Rotkäppchenland ist der Bahnradweg stark frequentiert und zeigt, dass ein guter ausgebauter Radweg auch gut angenommen wird. Der Schwalm-Radweg und der Bahnradweg Rotkäppchenland sollten sich gegenseitig ergänzen."
Die Schrecksbacher Fraktionsvorsitzenden begründen dagegen ihre Entscheidung wie folgt. Lars Diehl (CDU): "Ich stehe für den Ausbau des Teilstückes des Schwalmradweges - aber nicht für 200 000 Euro. Es gibt andere Kommunen, die bauen wesentlich günstiger. Auch wenn wir jetzt Kosten von 166 000 Euro diskutiert haben, letztlich werden wir bei 200 000 Euro landen. Die Gemeinde Schrecksbach soll 33 200 Euro aufbringen, die wir nicht so einfach im Haushalt haben." Er sei selbst Radfahrer und unterstützte den Bürgermeister in seinem Bemühen, eine kostengünstigere Lösung zu finden. Andreas Frisch (UWG) meint: "200 000 Euro für 700 Meter Radweg sind viel zu viel. Selbst Radfahrer halten einen Ausbau in dieser Größenordnung für nicht notwendig. Es reicht aus, den Weg entsprechend auszubessern." Das Thema Lückenschluss sei für die Gemeindevertretung zumindest für ein Jahr vom Tisch, weist Frisch auf die HGO hin.
Thomas Zulauf (SPD) betont: "Der Beschluss hat mich sehr geärgert. Bürgermeister Schultheiß hat sich bemüht und günstigere Ausbau-Varianten vorgelegt. Ich hoffe nicht, dass mit dem Patt bei der Abstimmung - leider waren fünf Gemeindevertreter der SPD bei der vorweihnachtlichen Sitzung nicht anwesend - die aus vielerlei Gründen richtige und notwendige Maßnahme gestorben ist. Für die Infrastruktur, für den Tourismus, für das Klima, für die Natur, für die Gesundheit, für die Freizeit ist die Nutzung eines vollständig ausgebauten Schwalmradweges wichtig." Die SPD unterstütze den Rathauschef dabei, einen Ausweg aus der verkorksten Gesamtsituation zu finden. Dazu sollte auch über eine Zusammenarbeit mit der Nachbargemeinde Alsfeld nachgedacht werden. "Die Kreisgrenze darf kein Hindernis sein", so Zulauf.