Von Philipp ZessinNACHGEFRAGT Die „Nummer gegen Kummer“ gibt es bereits seit über 30 Jahren / Aber können Telefonate oder Mails wirklich helfen?
REGION - Seit über drei Jahrzehnten kümmert sich die „Nummer gegen Kummer“ um die Probleme und Sorgen von Kindern, Jugendlichen und mittlerweile auch deren Eltern. Krise mit dem Partner oder Mobbing in der Schule? Ein kostenfreier Anruf unter 116111 (Montag bis Samstag von 14 bis 20 Uhr) genügt, und die Berater der Nummer gegen Kummer haben ein offenes Ohr für ihre Anrufer. Besonders die Tatsache, dass die Beratung anonym am Telefon oder auf Wunsch über E-Mail (Website: www.nummergegenkummer.de) stattfindet, macht die Nummer gegen Kummer für viele Jugendliche interessant. Nina Pirk, eine der Beraterinnen beantwortet Jugendstil einige Fragen.
Wie kam die Idee zustande, eine Organisation zu gründen, die als Ansprechpartner für Kinder und Jugendliche mit all ihren Problemen dient?
Das Kinder- und Jugendtelefon (KJT) wurde ab Mitte der 1979er Jahre aufgebaut. Es entstanden – zunächst unabhängig voneinander – mehrere lokale Angebote, die sich dann 1980 in der BundesArbeitsGemeinschaft Telefonberatung, dem Vorläufer des Dachverbandes „Nummer gegen Kummer“ (NgK) zusammengeschlossen haben. 1994 wurde das Angebot am KJT erweitert durch die Peer-Beratung „Jugendliche beraten Jugendliche“. Das Elterntelefon (ET) wurde dann initiiert vom Dachverband NgK. Nach dieser Aufbauphase ging das Elterntelefon 2001 bundesweit ans Netz. 2003 kam dann für die Kinder und Jugendlichen unsere em@il-Beratung hinzu. Diese wurde initiiert durch Jugendliche selbst, die gern die Möglichkeit haben wollten, uns online zu schreiben, weil sie nicht so gern reden mochten. Der Grund und das Ziel unserer Angebote ist es, für Kinder, Jugendliche und Eltern da zu sein, wenn sie Hilfe benötigen. Darüber reden hilft! – das ist die Überzeugung der „Nummer gegen Kummer“ und diese Erfahrung machen wir tagtäglich an unseren Beratungstelefonen. Die Erreichbarkeit des KJT unter einer bundesweit einheitlichen und kostenfreien Rufnummer ist dem überaus großen Engagement der Deutschen Telekom zu verdanken, die die Gebühren für alle Anrufe bei den Beratungsangeboten übernimmt. Ich betone dies deswegen, weil unser Verein seine Angebote ansonsten nicht kostenfrei anbieten könnte; die Kosten würden den – hauptsächlich über Spenden einzuwerbenden – Etat bei Weitem überschreiten.
Was hat die Organisatoren dazu bewogen, ebenfalls ein Telefon für Eltern einzuführen, nachdem die Nummer Anfangs nur für Teenager gedacht war?
Der Bedarf zeigte sich am Kinder- und Jugendtelefon, weil sich hier immer wieder Eltern meldeten, die in Sorge um ihr Kind waren. Viele Eltern riefen früher beim KJT an, im Vertrauen darauf, dass ihnen die „Nummer gegen Kummer“ weiterhelfen kann, weil unsere Mitarbeiter wissen, was Heranwachsende belastet und was sie sich wünschen. Um ihnen ein spezielles Angebot für ihre speziellen Themen anzubieten, wurde 2001 das Elterntelefon gegründet. Das Elterntelefon ist trotz seines 15-jährigen Bestehens noch nicht so bekannt wie das KJT und liegt daher mit den Anrufen auch noch nicht so weit vorn. Eltern benötigen aber ebenso wie Kinder und Jugendliche Hilfe und Unterstützung in ihrem oft belastenden Alltag. Über das Elterntelefon wollen wir darüber hinaus auch die jüngeren Kinder erreichen, die sich noch nicht selbstständig an das KJT wenden können.
Wie ist das System „Nummer gegen Kummer“ überhaupt aufgebaut und wie organisiert es sich?
Die Standorte der „Nummer gegen Kummer“ werden von einem gemeinnützigen lokalen Verein angeboten, der im Dachverband Mitglied ist. Hauptsächlich (80 Prozent) sind dies Ortsverbände des Deutschen Kinderschutzbundes. Der Dachverband hat aber von Anfang an auf eine verbandsübergreifende Zusammenarbeit gesetzt, um die bei seiner Gründung bereits bestehenden KJT unterschiedlicher Träger nicht auszuschließen. Es gibt insgesamt 40 Standorte des Elterntelefons und 82 Standorte des Kinder- und Jugendtelefons.
Wie viele Anrufer wenden sich täglich an Ihre Organisation?
Durchschnittlich sind es insgesamt 1900 Kontakte täglich, aus denen sich rund 570 Beratungsgespräche entwickeln (diese Zahlen gelten summiert für alle Beratungsangebote, Telefon und Mail). Im Jahr 2015 wurden am KJW 494 525 Gespräche angenommen und 11 800 E-Mails beantwortet. Das Elterntelefon konnte 16 923 Gespräche verzeichnen. Die Nachfrage bei der „Nummer gegen Kummer“ ist nach wie vor hoch, auch wenn es in den vergangenen beiden Jahren etwas weniger wurde. Eine Erklärung sind sicher die vielen OnlineBeratungsdienste, die es mehr und mehr (und in sehr unterschiedlicher Qualität) gibt. Eine Begleiterscheinung, die uns und unsere Berater und Beraterinnen immer wieder belasten, sind die vielen Testanrufe, die Jugendliche mit „erfundenen“ Geschichten in hoher Zahl bei uns machen – übrigens ein an allen europäischen Kinder- und Jugendtelefonen bekanntes Phänomen. Es entwickeln sich aber auch aus diesen Anrufen oft noch gute Gespräche, in denen die Anrufer erfahren, wozu das KJT da ist.
Was sind häufige Probleme oder Fragen, mit denen Sie die Kinder und Jugendlichen konfrontieren?
Die „Nummer gegen Kummer“ möchte ein offenes Ohr bieten zu allen Fragen, Themen, Problemen oder Krisen. Als themenoffenes Angebot wenden sich ratsuchende Kinder, Jugendliche und Eltern mit der ganzen Bandbreite möglicher Themen an uns. Von Liebeskummer über Probleme in der Schule oder dem Freundeskreis bis hin zu selbstverletzendem Verhalten und Suizidgedanken ist alles dabei. Manchmal ist es nur eine Frage zu Verhütung oder dazu, was bei der Untersuchung beim Frauenarzt passiert – also um typische Fragen in der Pubertät, die einem aber irgendwie peinlich sind und die man deshalb nicht den Freunden oder den Eltern stellen will. Eltern melden sich oft, wenn sie sich Sorgen um ihr Kind machen, es Probleme in der Familie gibt oder sie selbst Probleme haben, zum Beispiel Streit mit dem Partner.
Gibt es Situationen, bei denen Sie nicht weiterhelfen können, oder gar Fälle, die Sie weiterleiten müssen, zum Beispiel an das Jugendamt?
Die „Nummer gegen Kummer“ kann keine rechtliche, medizinische oder therapeutische Hilfe anbieten. Immer wieder geht es in der Beratung auch um sehr schwierige Situationen, die in einem Telefongespräch nicht gelöst werden können; manchmal ist eine Lösung vom Ratsuchenden auch nicht gewünscht, aber das Gespräch kann ihm wichtige Entlastung und Trost geben. Ein wichtiger Teil der Beratung ist, über weiterführende unter anderem professionelle Hilfestellen zu informieren. In sehr seltenen Ausnahmefällen kann es dazu kommen, dass die Polizei eingeschaltet wird.
Gibt es Fälle, die einen persönlich auch nach der Arbeit noch zu Hause begleiten und über die man sich noch dort Gedanken macht?
Ja, es kann schon vorkommen, dass man sich mit manchen Gesprächen noch gedanklich beschäftigt. Da es am Telefon auch nur einmalige Kontakte gibt, kann es manchmal auch schwer sein, dass man nicht erfahren wird, wie es der Person weiter ergangen ist. In der Ausbildung lernen die Berater aber damit umzugehen, außerdem gibt es Teamsitzungen und regelmäßig Supervision, in der belastende Themen besprochen werden können.
Wie viele Mitarbeiter kümmern sich täglich darum, dass alle Anrufe angenommen werden und benötigt man eine spezielle Schulung, bevor man Anrufe annehmen darf?
Momentan gibt es deutschlandweit rund 3 600 ehrenamtliche Berater und Beraterinnen an 98 Standorten. Alle Berater an den Beratungsangeboten der „Nummer gegen Kummer“ sind speziell ausgebildete Ehrenamtliche.
Beschränkt sich ihre Arbeit auf die am Telefon oder zählen auch „Hausbesuche“ bei den Anrufern zu ihren Aufgaben?
Unsere anonymen und vertraulichen Beratungsangebote sind online und telefonisch erreichbar, eine persönliche Beratung gibt es nicht! Die Anonymität der Beratung ist sehr wichtig, da sie einen geschützten Raum bietet und oft ist sie der ausschlaggebende Faktor, wenn Betroffene sich dazu entschließen, einen ersten Schritt in Richtung Hilfe zu machen und die „Nummer gegen Kummer“ zu kontaktieren. Sehr oft ist die „Nummer gegen Kummer“ erste Anlaufstelle, das heißt, dass ein Jugendlicher bei uns zum ersten Mal über sein Problem spricht. Eine Beratungsstelle aufzusuchen und ein persönliches Gespräch, von Angesicht zu Angesicht, zu führen, erfordert oft sehr viel mehr Mut. Hier kann das Gespräch mit der „Nummer gegen Kummer“ aber hilfreich sein, um Ängste abzubauen. Grundsätzlich möchten wir den Ratsuchenden helfen und sie dabei unterstützen, die für sie individuell passende Lösung zu finden.
Bitte loggen Sie sich ein, um einen Kommentar zu diesem Artikel zu verfassen. Debatten auf unseren Zeitungsportalen werden bewusst geführt. Kommentare, die Sie zur Veröffentlichung einstellen, werden daher unter ihrem Klarnamen (Vor- und Nachname) veröffentlicht. Bitte prüfen Sie daher, ob die von Ihnen bei ihrer Registrierung angegebenen Personalien zutreffend sind.
Die Zeichenzahl ist auf 1700 begrenzt. Die Redaktion behält sich vor, den Kommentar zu sichten und zu entscheiden, ob er freigeschaltet wird. Kommentare mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten, insbesondere Beleidigungen, nicht nachprüfbare Behauptungen, erkennbare Unwahrheiten und rassistische Andeutungen führen dazu, dass der Kommentar im Falle der Sichtung nicht freigeschaltet, ansonsten sofort gelöscht wird. Wir weisen darauf hin, dass alle Kommentare nach einigen Wochen automatisch wieder gelöscht werden.
Die Kommentare sind Meinungen der Verfasser.